Cornelie Kunkat
Der Deutsche Kulturrat untersucht bereits seit den 1990er Jahren die soziale Lage von Frauen und Männern im Arbeitsmarkt Kultur. Infolge der 2016 veröffentlichten Studie „Frauen in Kultur & Medien“ wurde ab Mitte 2017 dieser Arbeitsbereich im Deutschen Kulturrat verstärkt. Von Anbeginn war es ein Ziel, den gesellschaftspolitischen Diskurs zur Geschlechtergerechtigkeit zu unterstützen, spezifische Problemstellungen von weiblichen Kulturschaffenden zu eruieren und diese, neben weiteren Studien, mit der Umsetzung konkreter Maßnahmen zu unterlegen.
Die sicherlich bekannteste Maßnahme ist das spartenübergreifende Mentoring-Programm. Es soll dabei helfen, hoch qualifizierte Frauen in jeglichen Kultur- und Medienberufen durch konkrete 1:1-Beratung und praxisbezogene Unterstützung in Form von regelmäßigen Austauschmöglichkeiten und Workshops in die Lage zu versetzen, Führungspositionen erfolgreich einzunehmen. Bislang gab es fünf Durchläufe des halbjährigen Programms mit insgesamt 130 Tandems. Die sechste Runde startet derzeit in die Erstgespräche. 40 Tandems konnten erneut gebildet werden. Der Auswahlprozess war inspirierend und schwer zugleich, denn es bewarben sich 350 Frauen in dieser Runde – so viele wie noch nie.
Die stetig steigenden Bewerbungszahlen zeigen, dass sich nicht nur das Programm etabliert und einen guten Ruf erarbeitet hat, sondern viele Frauen auf ihrem Karriereweg Begleitung wünschen – insbesondere dann, wenn eine Standortbestimmung vonnöten ist, Stellenwechsel angestrebt oder gerade erfolgreich vollzogen wurden oder eben der unvoreingenommene Blick von außen wichtig wäre. So offenbaren es zumindest die eingegangenen Bewerbungen, insgesamt über 1.500 seit 2017. Dass der Andrang derart groß ist, liegt zudem daran, dass alternative Mentoring-Angebote im Kultur- und Medienbereich immer noch rar sind.
Erkenntnisse aus dem Mentoring-Programm
Welche Beobachtungen können gemacht werden – auf Grundlage der Bewerbungen und Evaluationen am Ende jeder Runde, basierend auf den persönlichen Gesprächen mit Mentorinnen, Mentoren und Mentees oder auch als Organisatorin von Fortbildungen und Austauschformaten für die nunmehr 170 Mentees?
Frauen, die entsprechend ihren hervorragenden Qualifikationen berechtigterweise Karriere machen und Führung übernehmen wollen und sich als Mentee bewerben im Gros sind sie zwischen 30 und 40 Jahre –, suchen im Mentoring verschiedene Dinge: strategische Karriereberatung, Hilfe bei der Standortbestimmung, Beratung in einer Entscheidungssituation, Stärkung von Verhandlungsgeschick oder auch die Einführung in ungeschriebene Gesetze und informelle Netzwerke. Viele Frauen teilen nach Beendigung des Programms die Überzeugung, dass sie durch die 1:1-Beratung diesen Zielen ein großes Stück nähergekommen sind. Interessant ist, dass in persönlichen Gesprächen oder den Evaluationen von den Mentees erwähnt wird, dass bereits die Ausschreibung und Zusage zum Mentoring-Programm ihnen einen positiven Impuls gaben, das berufliche Fortkommen wieder selbstbewusst in die Hand zu nehmen.
Die gläserne Decke ist kein persönliches, sondern ein gesellschaftliches Problem
Einen wertvollen Push für das eigene Selbstbewusstsein bekommen die Frauen meistens auch beim ersten Gruppentreffen, wenn alle Mentees einen kurzen Einblick in ihren Lebenslauf, ihre persönlichen Ziele und die damit verbundenen Herausforderungen geben. Schnell wird klar, dass die Mentees bereits höchst interessante Karrieren absolviert haben, gestandene Frauen sind und dennoch mit beharrlichen strukturellen Problemen kämpfen müssen – insbesondere dem männlich dominierten Kollegenumfeld, der Vereinbarkeit von Familie und Beruf – insbesondere, wenn sie alleinerziehend sind – oder immer noch verbreiteten Rollen-Klischees. Immer wiederkehrende Hürden also, die sich zusammengenommen zur gläsernen Decke verdichten.
Derartige Gruppenerlebnisse sowie das parallele 1:1-Mentoring verdeutlichen den Frauen, dass ihre Herausforderungen nicht sie allein umtreiben. So äußern viele Frauen bei der Evaluierung auf die Frage, welche Dinge ihnen erst während des Mentoring-Programms bewusst geworden sind, die Erkenntnis, dass: Geschlechterungerechtigkeit strukturelle Ursachen hat und nicht „mein persönliches Problem“ ist und dass immer noch vielfach schlecht, zu konservativ oder auch chauvinistisch geführt werde. Das Gruppenerlebnis bestärkt die Frauen in der Erkenntnis, dass sie mit ihren Beobachtungen nicht allein dastehen und sich daher auch weniger persönlich verantwortlich fühlen müssen. Im besten Fall erfahren sie, dass auch die Mentorin diese Gedanken kennt, erleben sie als Role Model und können von ihrem Erfahrungsschatz profitieren. Zudem bekommen sie von Mentorinnen und Mentoren Strategien an die Hand, diese Hürden anzugehen, sich von Widerständen nicht abschrecken zu lassen und ihren eigenen Weg selbstbewusst zu gestalten.
Projekte groß denken
Aus diesen eher allgemeinen Erkenntnissen der Mentees folgen vielfach individuelle Vorhaben, die in den Evaluationen wie folgt benannt werden: eigene Projekte größer zu denken und gleichzeitig die Ansprüche an sich selbst nicht zu hoch zu setzen, bewusster Prioritäten zu setzen und herauszufinden, wofür frau „brennt“, sich stärker zu positionieren, zwischen Bauch- und Kopfentscheidungen zu trennen, kulturpolitisches oder soziales Engagement auszubauen, Kontakte bewusster zu pflegen, Zeitmanagement zu verbessern und Gesprächsführung und Auftreten zu professionalisieren, mehr „Raum einzunehmen“ sowie den Blick für größere Zusammenhänge, Strukturen und Abhängigkeiten zu schärfen.
Ein positiver Effekt des Programms ist, dass die Mentees aus den genannten Vorhaben neue persönliche Sicherheiten ziehen wie: bewusst auch mal „Nein“ sagen zu können, mehr Lebenszufriedenheit, eigene Ressourcen bewusster einzusetzen, eine allgemeine Motivationssteigerung, größere Ruhe und Sicherheit bezüglich der Familienplanung, einen besseren Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen sowie ein gelungener Blick über den Tellerrand. Diese vielfältigen Effekte stärken das Selbstbewusstsein der Frauen und vermögen der weiteren Karriereausgestaltung einen Push zu geben. Dieser zeigt sich daran, dass mancher Mentee während des halben Jahres ein erstrebter Stellenwechsel gelingt und vielen anderen nach Ablauf des Programms. Diese Karriereschritte schließen den Sprung in die Selbständigkeit mit ein und können für freischaffende Künstlerinnen eine größere Sichtbarkeit bedeuten.
Alternative Führungsmodelle
Eine weitere Beobachtung darf bei diesem Rückblick nicht fehlen: Fast alle Frauen setzen sich intensiv mit dem Thema Führung auseinander. Wie zuvor bereits erwähnt, haben die meisten von ihnen überwiegend defizitäre Führungspersönlichkeiten erlebt und vermissen weibliche Positivbeispiele, an denen sie sich orientieren können. Sie möchten neue Führungsmodelle ausprobieren oder etablieren und stellen hierbei sehr hohe Ansprüche an sich selbst.
Inwieweit Frauen sich mit alternativen Führungsmodellen absolut betrachtet stärker befassen als Männer dieser Generation, lässt sich aus dem Mentoring-Programm heraus nicht feststellen – aber die Prognose wagen, dass wenn mehr Frauen in Führungspositionen kommen, flachere Hierarchien, mehr Doppelspitzen und auch Modelle wie Führung in Teilzeit oder im Team vermehrt in den Berufsalltag einziehen werden. Auch für derartige Entwicklungen kann das Mentoring-Programm „Frauen in Führung“ einen Beitrag leisten. Neue Blickwinkel sowie alternative Arbeitsmodelle können Kultur und Medien nur bereichern. Noch sind wir nicht am Ziel, aber manche Entwicklungen – oder besser: erkämpfte Erfolge – stimmen positiv.
Cornelie Kunkat ist Referentin für Frauen in Kultur und Medien beim Deutschen Kulturrat und hat das gleichnamige Mentoring-Programm konzipiert und umgesetzt.
Dieser Text ist Teil des Dossiers „Frauen in Führung“. Die einzelnen Beiträge des Dossiers werden durch Illustrationen prägender Frauen aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart begleitet.