Christine Berg im Porträt
Von Andreas Kolb
Christine Berg ist seit August 2019 als Vorstandsvorsitzende des HDF KINO, des Hauptverbands Deutscher Kinos, tätig. Zuvor war sie stellvertretender Vorstand der Filmförderungsanstalt (FFA). Außerdem war sie Projektleiterin des Deutschen Filmförderfonds (DFFF), der zum 1. Januar 2007 vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) eingeführt wurde und durch die FFA koordiniert wird. Davor war die gebürtige Hamburgerin Geschäftsführerin der Gesellschaft zur Förderung audiovisueller Werke in Schleswig-Holstein (MSH) und Intendantin der Nordischen Filmtage Lübeck, Leiterin des Location-Büros der Filmförderung Hamburg sowie Aufnahmeleiterin bei verschiedenen Spielfilmproduktionen. Sie ist unter anderem Mitglied im SPIO-Präsidium und dem FFA-Verwaltungsrat.
Wie wird man das alles? Wie macht man so eine Karriere? Christine Berg meint augenzwinkernd: Schuld war nur das Faxgerät. Den jüngeren Politik & Kultur-Lesern hilft die Wikipedia-Enzyklopädie: „Ein Fax (Kurzform von Telefaksimile) ist die Übertragung des Bildes eines Papierdokumentes auf ein Papier im Empfangsfaxgerät.“ In den 1980er Jahren gab es kein Büro ohne dieses Gerät, dem das Image anhaftete, Informationen in kürzerer Zeit um die Welt zu senden, als der Absender überhaupt gebraucht hatte, um darüber nachzudenken, was er da eigentlich sendete.
Eingeschrieben für Politikwissenschaften an der Hamburger Uni, absolvierte Christine Berg Ende der 1980er Jahre ein Volontariat bei einer PR-Agentur im Hamburger Medienhaus. In diesem Medienhaus waren verschiedene Einrichtungen beheimatet, auch die Hamburger Filmförderung hatte ein Büro. Berg saß an einer Stelle, wo das einzige Faxgerät des Hauses stand. „Damit war ich der Mittelpunkt. Alle kamen bei mir vorbei, ich kannte alle im Haus, auch Dieter Kosslick, den späteren Chef der Berlinale, der damals bei der Filmförderung in Hamburg war. Eines Tages meinte Kosslick: ‚Du kannst doch bei mir ein Jahr Volontariat machen. Ich zahl dir 1.000 Mark im Monat‘.“
„Wahnsinn! Das war 1987“, erinnert sich Christine Berg. Sie sagte zu und irgendwann im Laufe dieses ersten Jobs im Filmbereich war ihr klar geworden, dass sie nur noch diesen Weg gehen konnte. Sie war infiziert mit der Leidenschaft fürs Kino, die sie bis heute immer wieder aufs Neue motiviert. „Ich hatte immer Mentoren und ich hatte das Glück, immer an der richtigen Stelle zur richtigen Zeit zu sein. Zur Wendezeit habe ich jemandem erzählt, dass ich so gerne einmal in meinem Leben in New York arbeiten würde. Zwei Monate später kam derjenige auf mich zu und sagte: ‚Hier hast du den Job. Du kannst für drei Monate hingehen, nur Flug und Unterkunft musst du selbst bezahlen‘. Auch das war ein Volontariat, dieses Mal beim Independent Feature Project. Das war damals hip: Die ganzen Independent- Filme wurden dort wie auf einer Messe vorgestellt. Es kamen Leute aus der ganzen Welt zu uns, etwa Jim Jarmusch oder Hal Hartley. Das war groß!“
Der nächste Karriereschritt der 34-jährigen Hamburgerin war der Aufbau und die Leitung des Location-Büros der Filmförderung in der Hansestadt. Hier in Hamburg war sie verwurzelt und fühlte sich zu Hause: „Mein Vater war hier einer der ersten Programmierer Deutschlands, Großvater war Abwrackmeister auf der Werft gewesen, ich bin in Altona geboren, wurde in der Kleinen Freiheit getauft und bin im Vier- und Marschlande aufgewachsen. Mehr Hamburg geht nicht.“
Endstation Hamburg? Im Gegenteil: „Ich wollte Produktion machen und ging Ende der 1990er Jahre als Producerin zur Kinowelt nach München.“ Nach der Insolvenz der Kinowelt zog es sie nach Hamburg zurück. Doch es gab dort kein Jobangebot. Es gab nur eines in München und eines aus Berlin von der FFA. Sie zögerte, bis dann einer sagte, komm du zur FFA, dann ist da jemand, den wir kennen.
Mit der Zeit wurde das Gefühl in ihr immer stärker, selbst leiten, selbst gestalten zu wollen. Als Berg in einer Anzeige in der SZ las, dass in Schleswig-Holstein die Gesellschaft zur Förderung audiovisueller Werke einen Förderungschef suchte, bewarb sie sich. Spätestens nach der Frage, was sie studiert habe, dachte sie, das wird nichts. Umso überraschender kam der Anruf: „Wir haben uns für Sie entschieden, denn wir möchten jemand aus der Praxis und jemand, der lebendig ist.“ Das war Christine Bergs erster Job in einer Führungsposition.
Eine ihrer Eigenschaften ist es sicher, zu erkennen, wann eine Tür aufgeht, und dann auch den Mut zu haben, durch diese Türe hindurchzugehen. Ihr letzter Schritt durch eine neue Tür, von der Filmförderungsanstalt zum HDF KINO, hat sicher Mut erfordert, denn Berg gab einen sicheren Posten auf für etwas ganz Neues: Sie wechselte von der Produzentenseite in ein neues Metier, zu den Kinobetreibern und Veranstaltern. „Ich bin ins Risiko gegangen. Der Schritt in diese andere Richtung hatte mit zwei Dingen zu tun: Erstens: Ich bin ein ehrgeiziger Mensch. Ich habe Lust, Dinge selbst in die Hand zu nehmen und zu gestalten. Zweitens: Ich kannte Produktion, Weltvertrieb, Verleih und Filmförderung – jetzt vom Kino aus heranzugehen, war reizvoll.“
Der HDF KINO besteht aus einem kleinen Team von sieben Mitarbeitern. Das Besondere am HDF ist, dass er alle Kinoarten, vom Landkino übers Einsaal- und Zehn-Saalkino, also vom Mittelstand bis zu den ganz großen wie UCI (United Cinemas International) betreut und damit die Vielfalt der Kinolandschaft abbildet. Kino sei Kultur für alle, meint Berg. Und sie hat recht: Kino kann den Opernbesucher abholen, aber auch den, der gerne RTL oder Marvel guckt.
„Zurück aus der Krise“ hat Christine Berg im September 2020 einen Vortrag überschrieben, den sie im Rahmen einer Veranstaltung der Hanns Seidel Stiftung hielt. Darin geht sie auf die Herausforderungen ein, die nach Corona vor dem HDF KINO liegen: „Für uns ist das Wichtigste, ins nächste und übernächste Jahr zu blicken. Kürzlich haben wir dem Hauptausschuss des HDF einen Entwurf für das Programm 2024 vorgelegt. Darin geht es erstens um Nachhaltigkeit im Kinobetrieb, also Themen wie Müll, Umluft, Wärmeerzeugung und Energie. Zweitens geht es um das Image des Kinos bei Politik, Produzenten und Publikum. Was das Publikum angeht, spielt der deutsche Film eine große Rolle. Drittens: Mittels einer Branchenvereinbarung suchen wir eine neue Partnerschaft mit dem Verleih.
Und nicht zuletzt: Wir als HDF KINO wollen nicht, dass Kino ein Museum wird, sondern wollen weiterhin Breite und Vielfalt anbieten.“
Andreas Kolb ist Redakteur von Politik & Kultur.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/21