Wie Sabine Zielke und Gabriele Gornowicz die Volksbühne Berlin durch einen heißen Sommer steuerten
Von Andreas Kolb
Nach Vorwürfen, seine Amtsführung sei von sexualisiertem Machtmissbrauch und verbalen Entgleisungen geprägt, nahm Volksbühnen-Intendant Klaus Dörr Mitte März den Hut. Berlins Kultursenator Klaus Lederer reagierte prompt und präsentierte das Übergangs-Duo Sabine Zielke, langjährige Dramaturgin am Hause, und Gabriele Gornowicz, Geschäftsführerin ebendort von 1998 bis 2014. Ihre Mission: Die Volksbühne aus den Schlagzeilen bringen, bis der designierte Intendant René Pollesch im Sommer dieses Jahres an das Haus zurückkehrt, in dem er vor vielen Jahren seine Karriere als Regisseur begann.
Auf den Anruf der Senatsverwaltung, ob sie sich vorstellen könnten, zusammen das Haus bis zu den Spielzeit-Ferien zu leiten, reagierten die Beiden zunächst recht unterschiedlich. Gabriele Gornowicz sagte erst einmal »Nein«, denn sie fühlt sich im Ruhestand sehr wohl. Doch der Gedanke an die Volksbühne trieb sie um: »Es geht um ein Theater, an dem ich so lange und sehr gerne war. Wenn ich jetzt hier die Rettung sein soll, dann mache ich das mit Sabine Zielke zusammen.«
Sabine Zielke dagegen sagte dem Anrufer ohne zu zögern zu: »Gabi und ich haben sehr erfolgreich zusammengearbeitet. Es ist heute nicht mehr so, wie es in der DDR war: Geld war damals nie wirklich ein Thema für einen Dramaturgen. Nach der Wende wurde das anders. Gabriele und ich haben immer – auch für ganz knifflige Sachen und Projekte – Umsetzungsmöglichkeiten gefunden. Ich fand es sehr schade, dass sie dann in Rente ging. Aber jetzt haben wir uns wiedergefunden, das ist schön.«
Als die Interimsleiterinnen im März anfingen, war das Schauspielhaus gespalten, es gab viele gegensätzliche Interessenlagen. Dazu die Müdigkeit aufgrund der Corona-Situation. Das alles galt es in kurzer Zeit in den Griff zu kriegen. Dass das Haus zudem vor einem Intendantenwechsel steht, bedeutet, dass künstlerisch Beschäftigte das Haus verlassen werden. Gornowicz und Zielke mussten nun auf der einen Seite den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zur Seite stehen, die am Haus bleiben, damit sie wieder Motivation spüren für sich und ihre Arbeit. Und auf der anderen Seite ging es darum, 18 Schauspielern, mehreren Dramaturgen und Assistenten einen würdevollen Abschied zu gestalten. »Auch das gehörte zu unserem Job. Das war eine leicht verfahrene Kiste. Aber wir denken, zum großen Teil haben wir das gut geschafft.«
Dass die beiden diese Interimszeit nicht nur gut überstanden haben, sondern zusammen mit den Schauspielerinnen und Schauspielern und dem ganzen Haus – Corona zum Trotz – auch produktiv künstlerisch gearbeitet haben, ist bei Drucklegung dieser Ausgabe beinahe schon wieder Theatergeschichte. Nach der Abschlussfeier Ende Juni ist Gabriele Gornowicz zurück in ihren Garten gegangen. Sabine Zielke muss dagegen noch ein bisschen arbeiten: »Ich war in der Pollesch-Vorbereitungsgruppe seit Anfang des Jahres kontinuierlich dabei, bis zu dem Punkt, als ich in dieses Intendantenbüro gezogen bin. Ich habe das Gefühl, dass alle erwarten, dass ich zukünftig wieder das mache, was ich immer gemacht habe: Produktionen betreuen, aufregende, einmalige Ereignisse schaffen und weiterhin werde ich die Literatur im Auge behalten und im Roten Salon dem Publikum neue Bücher vorstellen. Ich freue mich darauf, dass es dann wieder richtig Theater geben wird und die Stimmung mindestens so gut bleibt, wie sie jetzt ist.«
Jede der beiden Volksbühnenleiterinnen kam auf ihrem individuellen Weg nicht nur ans Theater, sondern an das Theater, die Volksbühne Berlin. Das in der DDR oftmals vorgezeichnete Berufsleben fand Sabine Zielke nach dem Abitur langweilig. Sie wollte ans Theater. In ihrer Heimatstadt Rostock wurde sie Mitglied des Theaterjugendklubs. Die Aufnahmeprüfung für die Schauspielschule Ernst Busch in Berlin klappte trotz vieler Mitbewerber beim ersten Mal. In der DDR wurden nicht mehr Schauspielerinnen und Schauspieler ausgebildet, als anschließend an die Theater oder ans Fernsehen vermittelt werden konnten. Dennoch fand sie nach dem Studium nicht auf Anhieb den Regisseur, mit dem sie arbeiten wollte. »Damals haben mir die Dozenten von der berühmten Schauspielschule in Schöneweide geholfen, einen Studienplatz für Theaterwissenschaften zu bekommen. So bin ich Dramaturgin geworden.«
Auch Gabriele Gornowicz ist irgendwann mit dem Theatervirus infiziert worden. Nach dem Abitur mit Berufsausbildung als Außenhandelskaufmann studierte sie Außenwirtschaft und war damals noch weit weg von der Bühne. Ein Mitstudent jobbte in der Staatsoper Berlin und öffnete ihr die ersten Türen: »Während des Studiums und auch noch danach arbeitete ich in der Obermaschinerie. Das hat mir riesigen Spaß gemacht, nicht nur, weil es mit Kunst zu tun hatte, sondern auch mit durchaus schwierigen technischen Anforderungen. Ich hatte damals auch keine Probleme auf 13 Metern Höhe.« In dieser Zeit kam sie auch mit Oper in Berührung und ihr wurde immer klarer: »Ich muss in diese Ecke kommen, Außenhandel war sowieso etwas restriktiv, das hatte ich bei der Studienwahl nicht beachtet.« Sie schaffte es, in den VEB Deutsche Schallplatten zu kommen, im September 1989 ging sie ins Management des Staatlichen Tanzensembles der DDR: »Wir haben eine Mitarbeiter-GmbH gegründet, weil wir auf all diesen Streichlisten nicht erkannt wurden und noch eineinhalb Jahre weiter finanziert wurden.« Als man dann doch aufhören musste, tat sich die Stelle an der Volksbühne auf. Verwaltungsdirektor André Schmitz hatte sich damals für Gabriele Gornowicz entschieden. Ihn überzeugte, wie diese selbst im aufgeladensten Theaterbetrieb ruhig Blut bewahrte. »Ich bin dann Anfang 1998 erst einmal kommissarische Verwaltungsdirektorin geworden und bin seit dem Sommer 1998 bis 2014 Geschäftsführerin gewesen – die ganze Zeit unter und mit Frank Castorf. Wir sind formal immer gleichgestellt gewesen, aber sich einem solchen Künstler entgegenzustellen, dazu braucht es manchmal Mut. Wir haben unsere Geschäftsfelder so gut gegeneinander abgewogen, dass wir in der ganzen Zeit nur selten Konflikte hatten, obwohl Castorfs große Projekte hin und wieder etwas anstrengend waren für die Geschäftsführerin. Aber es hat Spaß gemacht – ich dachte und denke bis heute, besser kann es mir als Diplomwirtschaftlerin eigentlich nicht gehen als an der Volksbühne.«
Sabine Zielke kam 1989 vom Palast der Republik als Regieassistentin unter dem Intendanten Fritz Rödel ans Haus am Rosa-Luxemburg-Platz. »Ich kannte die Volksbühne schon aus der Zeit als Schülerin und habe dort wichtige Aufführungen von Benno Besson, Fritz Marquardt oder Jürgen Gosch gesehen. Als ich dahin kam, spiegelte sich in diesem Theater, wie vermutlich auch in anderen Häusern, die lähmende und zugleich unruhige Vorwendesituation wider, die im ganzen Land herrschte. Ich habe versucht, so weiter zu arbeiten, wie ich immer gearbeitet habe: engagiert und mit den Schauspielern im Zentrum.« 1990 wurde Intendant Fritz Rödel abberufen und es begann eine schwierige Zeit: Zwischen 1990 und 1992 waren Künstler wie Winfried Wagner, Marion van de Kamp und Annegret Hahn Interimsintendanten geworden und versuchten, das Haus irgendwie am Leben zu erhalten. Mittendrin in dieser Zeit war auch die Premiere der ersten großen Produktion von Frank Castorf, »Die Räuber«. »Bei der Arbeit für diese Produktion lernte ich ihn kennen – ich war damals noch relativ jung, aber ich spürte von Anfang an, das wird ein ganz Großer. 1992 wurde er Volksbühnen-Intendant und es begann die legendäre Zeit unter ihm. Aus dem großen Koloss, diesem riesigen Gebäude, kam plötzlich Kraft und es wackelte und ruckelte. So war das damals.«
Jetzt kommt mit René Pollesch ein ganz anderer, neuer Arbeits- und Führungsstil auf die Schauspieler und Mitarbeiter zu. »Was René Pollesch versuchen wird«, sagt Sabine Zielke, »ist, dass er seine Leitung auf ›Träger der Intendanz‹, verteilt: Das sind sieben oder acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus verschiedenen Bereichen. An der Stelle möchte ich noch etwas sagen zur Intendanz von Castorf, da ich immerhin 25 Jahre unter ihm gearbeitete habe. Frank Castorf ist ein Mensch mit großer Wucht. Er besticht durch seinen Intellekt, durch sein Gedächtnis und vor allem durch seine künstlerische Kraft. Ich persönlich habe mich in dieser Zeit sehr frei gefühlt in der Arbeit, gar nicht eingeschränkt. Ich habe mich auch immer herausgefordert gefühlt, Inspirationen weiterzugeben oder sie anzuregen. Für mich war das ein unendliches Feld des Lernens, des Zugreifens, der Inspiration, kurz eine ganz wichtige Zeit.«
Was ihr damals wichtig war, das möchte Sabine Zielke heute an die Jungen weitergeben: »Die Arbeit mit den Schauspielern, die wir in den vergangenen drei Monaten gemacht haben, war eine Möglichkeit für mich, den jungen Schauspielerinnen und Schauspielern etwas mit auf den Weg zu geben: Was das ist, eine Theaterfamilie. Warum man vor den Fähigkeiten anderer Respekt haben sollte, egal ob sie in den Gewerken unterwegs sind, ob sie Dramaturgen oder Assistenten sind. Solche Werte nicht als Lehrerin, sondern über die Arbeit zu vermitteln, das war und ist mir wichtig.«
Andreas Kolb ist Redakteur von Politik & Kultur
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/21