Eine polnisch-deutsche Europäerin
Andreas Kolb
Innovationen zu fördern, Neues anzustoßen, Veränderungen auf den Weg zu bringen, das sind Aufgaben der Kulturstiftung des Bundes (KSB) seit ihrer Gründung im Jahr 2002 durch Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin. Die in Halle an der Saale ansässige Stiftung verwirklicht dies in ihrer Projektförderung, aber vor allem in ihren Programmen. Seit dem 1. Januar 2023 ist Katarzyna Wielga-Skolimowska neue Künstlerische Leiterin der KSB.
„Wir werden nicht erst im jüngsten Koalitionsvertrag als Innovationstreiber bezeichnet“, so die 1976 in Warschau geborene Theaterwissenschaftlerin, „sondern sind tatsächlich seit zwei Jahrzehnten dafür zuständig, den nötigen Raum zu geben, um bundesweit über die Zukunft der Kultur und ihrer Institutionen nachzudenken und – gemeinsam mit Kultureinrichtungen und Künstlerinnen und Künstlern – neue Ideen im Umgang mit den aktuellen Herausforderungen zu entwickeln. Diesen Raum zur Verfügung zu stellen halte ich für sehr wichtig. Kein anderes Land in Europa hat eine vergleichbare Stiftung.“
Die Polykrise ist allgegenwärtig und Kultureinrichtungen sind – wie alle anderen gesellschaftlichen Bereiche auch – davon betroffen: „Die Kulturstiftung des Bundes“, sagt Wielga-Skolimowska, „stellt Kapazitäten bereit für das Nachdenken, Experimentieren und Erproben, wie man Kulturprojekte in diesen Krisenzeiten weiterentwickeln und neu ausrichten kann. Daher finde ich es wichtig, dass der Bund ein Signal gibt, indem er die Kultur auf der Bundesebene stärkt – vor allem in der jetzigen politischen Lage, in der wir wissen, dass es antidemokratische Kräfte gibt, die die Einflussnahme auf die Kultur ins Zentrum ihrer politischen Agenda stellen. Wir können einiges von den polnischen Kultureinrichtungen darüber lernen, wie es ihnen gelungen ist, unter der PiS-Regierung weiterzuarbeiten.“
Wie bei vielen Menschen spielte auch bei Wielga-Skolimowska der Zufall eine wichtige Rolle im Verlauf ihrer bemerkenswerten europäischen Karriere – so wichtig, dass man rückblickend nur sagen kann, es gibt keinen Zufall, es kann sich nur um Zielstrebigkeit handeln. Als Schülerin einer Oberschule in Warschau mit Deutsch als erster Sprache war Katarzyna Wielga-Skolimowska früh mit deutscher Kultur in Kontakt gekommen. Sie erinnert sich gerne an einen Schüleraustausch mit dem Deutsch-Polnischen Jugendwerk: „Wir kamen aus dem damals grauen Warschau und landeten in der malerischen süddeutschen Provinz in der Nähe von Freiburg: in einer Milka-Werbung.“
Heute kann sie zwei Pässe ihr Eigen nennen, den polnischen und den deutschen: „Ich verstehe mich selbst als Europäerin und habe ein sehr europäisches Verständnis von Kultur und Kunstfreiheit. Die Überprüfung von Künstlerinnen und Künstlern etwa ist in vielen Ländern an der Tagesordnung, wie zum Beispiel in Saudi-Arabien, wo ich das Goethe-Institut geleitet habe. Das steht im Widerspruch zu unserem Verständnis von Kunstfreiheit.“
1999 ging Katarzyna Wielga-Skolimowska nach Berlin und studierte mit einem DAAD-Stipendium bei der Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte an der Freien Universität. Heiner Müllers letzte Inszenierung, Brechts „Arturo Ui“, hatte sie bereits Mitte der 1990er Jahre nach dessen Tod im Theater am Schiffbauerdamm gesehen. Später kam sie wieder und erlebte die Aufbruchstimmung im Berlin der 1990er Jahre, mit Castorf, Schlingensief und Marthaler: eine prägende Zeit für die junge Theaterfrau. „Die Fragen von Ost-West, von Kontinuitäten, Brüchen und Widersprüchen der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts waren ein zentrales Thema bei Heiner Müller und beschäftigen mich in meiner Arbeit bis heute.“ Im Jahr 2000 beendete sie das Masterstudium der Theaterwissenschaften an der Theaterakademie in Warschau, doch am Theater wollte sie in der Folge nicht arbeiten. Sie interessierte sich für die internationale Dimension der kulturellen Zusammenarbeit, und so war es folgerichtig, dass sie nach dem Studium als Programmreferentin für Theater, Tanz und interdisziplinäre Projekte am damals neu gegründeten Adam-Mickiewicz-Institut in Warschau tätig wurde.
„In Warschau wurde 2001, eigentlich fast parallel zur Kulturstiftung des Bundes, das Adam-Mickiewicz-Institut gegründet, ein Institut für internationale kulturelle Zusammenarbeit. Als ich anfing dort zu arbeiten, kam es im Rahmen des Deutsch-Polnischen Jahres zu meiner ersten Begegnung mit der Kulturstiftung des Bundes.“ 2006 wurde sie angefragt nach Tel Aviv zu gehen, um das Polnische Jahr in Israel vorzubereiten. „Damals war es eine neue Arbeitsweise, Leiterinnen und Leiter aus den polnischen und israelischen Einrichtungen zu Recherchereisen einzuladen, um mit ihnen gemeinsam Projekte zu entwickeln. Die drei Jahre in Israel waren für mich eine sehr prägende Zeit, in der ich gelernt habe, noch besser mit Komplexitäten und Widersprüchen umzugehen.“
Im Rückblick betrachtet ging es dann Schlag auf Schlag weiter: Katarzyna Wielga-Skolimowska war von 2006 bis 2009 Kuratorin des Polnischen Jahres in Israel, anschließend bereitete sie als Bevollmächtigte des Direktors für künstlerische Angelegenheiten am Narodowy lnstytut Audiowizualny (Nationales Audiovisuelles Institut) das Kulturprogramm für die polnische Ratspräsidentschaft der EU unter dem optimistischen Motto „Art for Social Change“ vor. 2013 wurde sie zur Direktorin des Polnischen Instituts Berlin und der Filiale Leipzig ernannt.
Über Warschau, Tel Aviv und Berlin führte ihr Weg schließlich nach München: 2018 ging Wielga-Skolimowska als Referentin der Abteilungsleitung Kultur in die Zentrale des Goethe-Instituts, von wo aus sie 2020 als Leiterin eines neuen Goethe-Instituts nach Riad, Saudi-Arabien, entsandt wurde. „Seit anderthalb Jahren treffe ich nun in meiner neuen Funktion als Direktorin der Bundeskulturstiftung viele Leiterinnen und Leiter von Kultureinrichtungen, Künstlerinnen und Künstler und Verantwortliche in der Kulturpolitik an kleinen und großen Orten bundesweit. Dabei blicke ich auf die deutsche Kulturförderung gleichzeitig von außen und von innen. Ich halte das komplexe Zusammenspiel der föderalen Struktur mit Kommunen, Ländern und dem Bund im Kulturbereich für sehr wichtig – besonders für den Erhalt des kulturellen Angebots in krisenhaften Zeiten.“
Vor wenigen Wochen hat der Stiftungsrat drei große Programme verabschiedet, die Wielga-Skolimowska gemeinsam mit ihrem Team entwickelt hat: Das antragsoffene Modellprogramm „Lokal – Programm für Kultur und Engagement“ ermöglicht engagierten Kulturakteuren in Städten und Gemeinden unter 100.000 Einwohnern, sich neue Partner zu suchen, wie etwa Sportvereine, Schulen und Kitas, die freiwillige Feuerwehr oder ortsansässige Firmen. Von 2024 bis 2031 stehen insgesamt bis zu 7,5 Millionen Euro zur Verfügung.
Das Programm „Modelle für Kulturinstitutionen von morgen« lädt Kultureinrichtungen und Kommunen ein, einen Raum für grundlegende Innovationen zu schaffen und sich dem Impuls zu widersetzen, auf Bekanntes und Vertrautes zurückzugreifen. Das Gesamtbudget beträgt rund 4,6 Millionen Euro. Mit ihrem antragsoffenen Programm „Kunst und KI“ fördert die Kulturstiftung des Bundes die Entwicklung und Umsetzung von mindestens zehn Exzellenzprojekten. Für den Fonds stehen in den Jahren 2024 bis 2028 insgesamt rund 3,7 Millionen Euro zur Verfügung.
Katarzyna Wielga-Skolimowska und ihr Team knüpfen aber auch an bewährte Traditionen an: Wie bereits beim Tanzplan ihrer Vorgängerin Hortensia Völckers bleibt der Tanz ein Förderschwerpunkt der Bundeskulturstiftung: Tanztriennale heißt der neue „Kulturelle Leuchtturm“ der Kulturstiftung des Bundes im Bereich Tanz und Choreografie.
Andreas Kolb ist Redakteur von Politik & Kultur.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/24.