Betrachtet man Netzwerke im Sinne des Soziologen Pierre Bourdieu als Ressource, die Sozialkapital – also ein Netz von Beziehungen, die dazu beitragen, dass Karrieren, Macht und Reichtum errungen und gehalten werden können – bildet, sieht man: Historisch hatten Männer hier immer die Nase vorn, wenn es darum ging Netzwerke zu bilden, die Macht und Zusammenschlüsse fördern.
Mittlerweile hat sich einiges getan und auch das zivilgesellschaftliche Netzwerk der Frauenrechtsbewegungen ist breit und solide aufgestellt.
Aber wie entsteht so ein Netzwerk und was hat dies mit dem Kegelverein oder dem öffentlichen Verbrennen von BHs zu tun?
Fangen wir vielleicht einmal so an: Was ist ein Netzwerk? Damit ist in diesem Text kein Rechnernetz gemeint, sondern eine soziale Struktur für Menschen, in der sie die Möglichkeit zu Informationsaustausch und Beziehungsaufbau haben. Ein solches Netzwerk ist ein abstraktes soziales Phänomen, man kann es also weder anfassen noch sehen. Gleichwohl kann ein Netzwerk aber eher formelle Strukturen mit hohem Institutionalisierungsgrad ausbilden, also etwa, wenn es die Form einer Organisation annimmt, oder eher aus informelleren Zusammenhängen und spontanen Initiativen bestehen.
Beide Formen bringen spezifische Vorteile mit sich – mit formellen Netzwerken können beispielsweise geschäftsfähige Rechtsformen gewählt werden. Wenn Sie einen Verein gründen, können sie beispielsweise Haftungsfragen der Mitglieder festlegen, Rechnungen schreiben oder Spenden sammeln. Informellere Netzwerke hingegen bieten ein viel größeres Maß an Dynamisierung und Flexibilität, sie sind schnell zu organisieren und brauchen nur die Teilnahme der interessierten Netzwerkpartnerinnen.
Betrachtet man die Frauenrechtsbewegung unter dieser Lupe, sieht man eine Parallelität der Netzwerkentwicklung in beiden Arten; die Institutionalisierung durch Rechtsformen auf der einen und die informaleren Zusammenschlüsse und Treffen auf der anderen Seite. Die Gründung von Vereinen, Stiftungen und Parteien läuft also zeitgleich zu den feministischen Protestbewegungen, die wellenartig immer wieder im Verlauf der neueren Geschichte die Öffentlichkeit geprägt haben. Bereits zur Zeit der Suffragettenbewegung, jener Aktivistinnen, die zum Ende des 19. Jahrhunderts für das Frauenwahlrecht in Amerika, England, aber auch Deutschland gekämpft haben, wurde neben den Demonstrationen und öffentlichen Straßenprotesten kleinerer Gruppen, die Vernetzung auch innerhalb von Salons und Kulturvereinen organisiert.
Frauen wie Louise Otto-Peters und Hedwig Dohm kämpften für das Recht auf Bildung, politische Teilhabe und die Abschaffung der rechtlichen Benachteiligung von Frauen unter anderem dadurch, dass sie Frauenvereine und Bünde gründeten und publizistisch eine breite Debatte über Frauenrechte in der Öffentlichkeit initiierten.
Nach langem und hartem Kampf wurde das Frauenwahlrecht schließlich im Jahr 1918 in der Weimarer Republik eingeführt, jedoch wurden die Frauenrechte dann während der nationalsozialistischen Herrschaft in den 1930er und 1940er Jahren wieder drastisch eingeschränkt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs konnte die Frauenbewegung wieder aktiver werden, so schlossen sich Ende 1951 in Westdeutschland etwa Vertreterinnen aus 14 Frauenverbänden zum Informationsdienst für Frauenfragen e.V. zusammen, dem Vorläufer des heutigen Deutschen Frauenrats.
In den 1970er Jahren erlebte die Frauenbewegung eine starke Radikalisierung, wobei Themen wie Abtreibungsrecht, sexuelle Selbstbestimmung und Gewalt gegen Frauen im Mittelpunkt standen. Die Vorkämpferinnen vernetzten sich sowohl in Protestmärschen und Happenings als auch in neu gegründeten feministischen Gruppen und Organisationen. Die durch den sozialen Wertewandel initiierten Forderungen nach gerechter Beteiligung, die sich auch an den Methoden der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung orientierten, führten insbesondere in Westdeutschland zu den oben bereits erwähnten öffentlichen BH-Verbrennungen sowie zu anderen spektakulären Protestformen bürgerlichen Ungehorsams.
Die feministische Bewegung in Ostdeutschland hatte eine eigene Dynamik. Die DDR propagierte die Gleichstellung der Geschlechter und förderte die Teilnahme von Frauen am Arbeitsmarkt und in der Politik. Als zu radikal eingestufte Frauenrechtsaktivistinnen und breite Protestbewegungen wurden jedoch von der Staatsmacht unterdrückt.
Während die öffentlichen Protestmärsche im Verlauf der 1980er Jahre weniger Aufmerksamkeit erhielten, verliefen die formelleren Verfestigungen von Frauennetzwerken weiter, beispielsweise mit der Gründung der ersten deutschen Frauenzentren und -häuser, in gewerkschaftlichen Frauenbünden oder der bald schon international operierenden Organisation Terre des Femmes – Menschenrechte für die Frau e. V., die 1981 in Hamburg als gemeinnütziger Verein gegründet wurde und dessen Schwerpunkt unter anderem in der internationalen Vernetzung mit anderen Frauenrechtsorganisationen lag.
Mit der Wiedervereinigung im Jahr 1990 wurde die Frauenrechtsbewegung in ganz Deutschland vereint. Frauen kämpften weiterhin für die Chancengleichheit in der Arbeitswelt, die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und die Stärkung der Rechte von Migrantinnen. Frauenorganisationen und feministische Gruppen leisteten wichtige Arbeit, um Bewusstsein zu schaffen und politische Veränderungen anzustoßen. Die Bewegung wurde jedoch auch vielfältiger und organisierte sich in verschiedenen Gruppen, wie z. B. Mütter, Migrantinnen, Lesben und Wissenschaftlerinnen in jeweils eigenen Vereinen, politischen Verbänden und Institutionen.
Ab den 2010er Jahren kehrten mit der #aufschrei-Debatte oder der #MeToo-Debatte die Themen Alltagssexismus, Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen wieder verstärkt auf die Tagesordnung und auf die Straßen zurück. Den neuen sozialen Medien kommt hierbei eine besondere Bedeutung bei der Vernetzung zu, die richtungsweisend für die Zukunft ist. Auf Twitter hatte die Netzfeministin Anne Wizorek mit dem Hashtag #aufschrei eine Lawine von Tweets ausgelöst, weil Frauen ihn zu Tausenden nutzten, um über Bemerkungen und Übergriffe, denen sie sich in ihrem alltäglichen Leben ausgesetzt sahen und als sexistisch empfanden, zu berichten. Der Hashtag wurde innerhalb weniger Tage über 50.000 Mal verwendet. Der Hashtag #Metoo, den die Schauspielerin Alyssa Milano nutzte, um auf die sexuellen Belästigungen, Nötigungen und Vergewaltigungen des Filmproduzenten Harvey Weinstein aufmerksam zu machen, wurde millionenfach verwendet und ist mittlerweile in den deutschen wie internationalen Sprachgebrauch eingegangen.
Heute gibt es ein breites Netzwerk an zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich für Frauenrechte einsetzen, die Rechtsschutz bieten, Karriere-Mentoring-Programme vorantreiben oder über geschlechtliche Ungleichheiten forschen und informieren. Und solange es diese noch gibt, braucht es auch die Netzwerke der Frauenbewegung dringend.
Damit diese Netzwerke der sozialen Struktur, in denen Menschen die Möglichkeit zu Informationsaustausch und Beziehungsaufbau haben, stabil und nachhaltig bleiben, ist es gut, wenn sie auch weiterhin so bunt und unterschiedlich im Formalisierungsgrad bleiben, wie sie es in der Vergangenheit waren.
Siri Hummel ist Direktorin des Maecenata Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft und Politik- und Kommunikationswissenschaftlerin. Sie ist zudem Lehrbeauftragte im Studiengang Nonprofit Management and Public Governance an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin.
Dieser Text ist Teil des Dossiers „Vernetzt – Frauennetzwerke“. Die einzelnen Beiträge des Dossiers werden durch Bilder der Künstlerin Stephanie Jünemann begleitet.