Irene Kurka über Klassik, zeitgenössische Musik und Podcasts
Die Sopranistin Irene Kurka hat seit zwei Jahren einen erfolgreichen Podcast „Neue Musik leben“ und wird hieran angelehnt im Herbst noch ein Buch herausgeben. Über Ihre Motivation und Begeisterung für Neue Musik sprach sie mit Cornelie Kunkat.
Cornelie Kunkat: Frau Kurka, Sie sind eine vielseitige und kreative Künstlerin, die offen für Experimente ist. Das bezieht sich sowohl auf Ihr Repertoire als Sopranistin als auch Ihre Bereitschaft, nebenher noch anderen Ideen nachzugehen. Gerade in Krisenzeiten ist dies eine wertvolle Eigenschaft, sich immer wieder ein Stück weit neu zu erfinden. Mit welcher Motivation haben Sie Ihren Podcast gestartet?
Irene Kurka: Ja, der Auslöser war, dass ich 2015 angefangen habe, ein Buch zu schreiben mit dem Arbeitstitel: „Neue Musik macht meine Stimme nicht kaputt“. Denn das war eine Frage, die mir nach Konzerten oft gestellt wurde – ob es nicht anstrengend sei, solche Partien zu singen? Und ich habe angefangen, die Gegenargumente zu sammeln und niederzuschreiben. Als ich später mit dieser Idee zu einem Förderer ging, sagte er: „Ach, was wollen Sie heutzutage ein Buch schreiben? Machen Sie was mit den neuen Medien.“
War Ihre Liebe zum Podcast da bereits ausgeprägt?
Nein, ich selbst habe erst Anfang 2018 das Format entdeckt und bin seitdem leidenschaftliche Podcast-Hörerin, weil ich es halt nebenbei machen kann. Ich brauche keinen Bildschirm und kann Wissen aufnehmen in einer für mich sehr angenehm aufbereiteten Form. Da kam dann der Gedanke: Warum machst du das nicht selbst? Mir wurde klar, das kann ich auch allein ohne allzu großen Technikaufwand. Und, ja, dann ist aus der Idee Realität geworden, im April 2018.
Hatten Sie einen guten Start?
Tatsächlich ja, sehr erfolgreich. Ich wurde schon im Jahr darauf Kooperationspartnerin der neuen musikzeitung (nmz) und hatte schnell viele Hörerinnen und Hörer, über 25.000 Downloads. Mittlerweile sind mehr als 110 Folgen erschienen. Für mich war es spannend, in diese neue Rolle als Podcasterin zu gehen, es menscheln zu lassen und hinter die Kulissen der Neuen Musik zu blicken. Auch von mir musste ich persönlichere Dinge zeigen als quasi nur die Sopranistin, die auf der Bühne steht. Diesen Rahmen habe ich aufgebrochen, und das gefällt mir nach wie vor. Ja, und hier schließt sich jetzt für mich der Kreis: Im Herbst dieses Jahres erscheint mein Buch „neue musik leben – Das Buch zum Podcast, Band 1“. Also gibt es tatsächlich doch noch ein Buch.
Mit welcher Konkurrenz-Situation mussten Sie umgehen?
Lange war ich sehr allein mit einem solchen Format zu Neuer Musik. Erst durch Corona wurden viele Podcasts neu gelauncht, tatsächlich auch endlich mal im Bereich der klassischen Musik.
Wie haben Sie Ihr Format über die Kooperation mit der nmz hinaus vermarktet? Haben Sie sich marketingtechnisch beraten lassen oder sind Sie nur über Ihre eigenen Netzwerke gegangen?
Ja, tatsächlich über meine eigenen Netzwerke. Als Sopranistin war ich bereits etabliert. Am ersten Tag habe ich eine Pressemitteilung gemacht, die extrem viel Rücklauf brachte. Auch die nmz hat damals reagiert, der WDR, Concerti und Crescendo. Deren Interesse ging schnell mit sehr viel Aufmerksamkeit einher. Viele merkten erst jetzt, dass es hier eine Lücke gab. Hilfreich war zudem, dass Anna Schürmer einen sehr schönen Bericht im Deutschlandfunk und in der Neuen Zeitschrift für Musik über Neue Musik und neue Medien gebracht hat, in dem sie Moritz Eggert, Johannes Kreidler, Martin Tchiba und mich in den Mittelpunkt gestellt hat. Und tatsächlich war sie es dann, die mir klarmachte, dass der Podcast auch für mich ein Marketing-Instrument sei. Darüber hatte ich zuvor gar nicht nachgedacht, weil ich vom Inhalt getrieben war.
Das heißt, der Podcast hat positive Effekte auf Ihre Arbeit als Sopranistin?
Auf jeden Fall. Es sind mehr Aufträge gekommen, und ich habe auch erleben dürfen, dass Menschen zu einem Konzert von weit angereist sind, weil sie den Podcast gehört hatten. Hierzu trägt natürlich auch die Kooperation mit nmz bei, in der ich seit Frühjahr 2019 einen sehr schönen Ort auf Seite zwei habe.
Noch einmal zurück zu Ihrer eigentlichen Triebfeder, der Neuen Musik. Was macht Neue Musik für Sie aus? Was wollen Sie den Menschen in Ihrem Podcast näherbringen? Wie beschreiben Sie Ihren persönlichen Auftrag?
Neue oder zeitgenössische Musik heißt für mich, dass ich als Künstlerin mit den Komponistinnen und Komponisten zusammenarbeiten und Dinge entwickeln kann. Früher war die Neue Musik ein bisschen dogmatischer, auch in Deutschland. Mittlerweile umspannt sie ein breites Spektrum von meditativer bis schräger Musik, oder auch etwas Lustigem. Es gibt Künstler, die Crossover machen oder auch mit Film und anderen Medien arbeiten. Es wird also multimedial. Und das kommt mir als Mensch zugute, weil ich neugierig bin und gern vielseitig arbeite, um all meine stimmlichen, emotionalen und schauspielerischen Facetten ausleben zu können. Mit dem Podcast möchte ich diese vielfältige Musik zugänglicher machen. Ich weiß mittlerweile, dass ich auch Hörer habe, die nicht aus der Musikbranche kommen, und erst über mein „menschelndes“ Format ihren Zugang gefunden haben. Also ich kriege tatsächlich viele Zuschriften, aus aller Welt, was mich sehr freut.
Hat Sie das überrascht?
Ja, ich bin ganz erstaunt, wo mein Podcast überall gehört wird. Dass also offenbar Deutsche in Korea oder New York sitzen, die Neue Musik interessiert und meinen Podcast hören.
Was hat es mit Ihren zusätzlichen Mindset-Themen, wie Sie es nennen, auf sich?
Das sind Themen wie Zeitmanagement, Kreativität oder Gagenverhandlung, die für Künstlerinnen und Künstler sehr wichtig sind. Gerade in Pandemie-Zeiten ist es noch dringlicher geworden, dass wir Kreativen uns unseres Wertes bewusst sind, gut verhandeln und faire Bedingungen einfordern. Ich thematisiere auch Kooperation und Ko-Kreation anstatt Konkurrenz und Ellenbogenmentalität. Transparenz und ein Miteinander liegen mir am Herzen und spielen in meinem Podcast deshalb eine große Rolle. Deswegen auch der Titel „neue musik leben“.
In einem Interview beschreiben Sie, wie Sie als Studentin in den USA angefangen haben, sich mit moderner Musik auseinanderzusetzen und zunächst lange gebraucht haben, sich die Stücke zu erschließen bzw. ihre Passagen zu erlernen. Ist das eine erste Herausforderung für alle, die sich moderner Musik nähern? Weil sie ihre Hörgewohnheiten erweitern müssen, zumal wenn sie von der klassischen Musik kommen?
Ich glaube, man kann das gar nicht verallgemeinern. Ja, ich habe ein bisschen gebraucht, um solche Stücke, wie Sie sagen, tatsächlich gut aufführen zu können. Bezüglich der Hörgewohnheiten aber habe ich das Unterschiedlichste erlebt: Menschen, die sich erst herantasten wollten, und andere, die direkt enttäuscht waren, dass ich sie nicht viel früher in Neue-Musik-Konzerte mitgenommen habe. Insofern mache ich mir über diesbezügliche Strategien keine Gedanken mehr und lade einfach alle ein. Das Einzige, was ich oft noch als Tipp gebe, ist, sich vielleicht eher vorne hinzusetzen, weil es in den meisten Konzerten in der Neuen Musik viel zu beobachten gibt, wenn beispielsweise der Pianist nicht nur die Tasten spielt, sondern die Saiten direkt im Flügel oder weitere Gegenstände für neue Klänge nutzt. Und häufig sind auch Einführungsvorträge hilfreich. Wobei ich finde, dass man gar nicht alles verstehen muss, um die Musik zu erleben und zu genießen.
Haben Sie neben den Themenerweiterungen noch andere neue Ideen für Ihren Podcast?
Ich würde gerne visuelle Formate ergänzen, denn in der Kombination mit Bildern kann man noch spannendere Dinge zeigen und Menschen für den Facettenreichtum begeistern. Warum gibt es kein MTV-Äquivalent für Neue Musik? Gerade jetzt während Corona ist es doch ein bisschen langweilig, immer nur einen Konzertmitschnitt irgendwo ins Netz zu stellen.
Als Konzertbesucherin kann ich diese Idee gut nachvollziehen. Die Kombination aus Sehen und Hören ist für mich immer das Wichtigste. Noch eine ganz andere Frage: Mit welchen Komponistinnen arbeiten Sie gerade in Konzerten zusammen?
Im Moment habe ich ein Stück von Charlotte Seither anstehen, was ich mehrmals singen werde, in Deutschland sowie in den Niederlanden. Mit Christian Banasik werde ich nächstes Jahr für die Tonhalle Düsseldorf im Rahmen eines großen Festivals ein Projekt machen, nachdem wir in der neuen Wehrhahn-Linie in Düsseldorf die Metropolitan Trilogie 2017 bis 2019 uraufgeführt haben. Ich mache auch sehr viel mit Dominik Susteck, mit Christina C. Messner, mit Antoine Beuger oder Moritz Eggert. Sie alle stehen für sehr unterschiedliche Stilistiken, was mich, wie schon erwähnt, besonders reizt, um immer wieder neu zu entdecken, was kann ich denn eigentlich noch?
In einem Interview erwähnen Sie, dass manche Kollegen die Neue Musik lieber im Elfenbeinturm belassen würden. Sie indes plädieren dafür, Neue Musik stärker in den Lehrplan der Universitäten zu integrieren. Warum?
Ich habe selbst erfahren, dass man sich, seine Stimme, sein Instrument, besser kennenlernt, wenn man Neue Musik macht. Die Berührungsangst ist jedoch noch immer aus offenbarer Unkenntnis heraus sehr stark, und das finde ich schade. Zumal es sich gar nicht mehr generalisieren lässt, dass Neue Musik besonders herausfordernd ist. Es gibt ja so unterschiedliche Stücke, auch welche, die man gut mit Laien zusammen machen kann. Solche Kooperationen, die der Landesmusikrat NRW ins Leben gerufen hat, liegen mir am Herzen. Diese positiven Erfahrungen möchte ich bekannter machen.
Kommen junge Musiker denn überhaupt noch ohne Erfahrungen mit Neuer Musik zurecht?
Ich bezweifle das. Selbst wenn jemand sagt: „Ich will ganz klassisch in ein Opernengagement gehen“, wird er mit einem anderen Spielplan zurechtkommen müssen. Denn eigentlich führen alle Opernhäuser zumindest einmal im Jahr irgendeine zeitgenössische Oper auf. Darauf werden aber die armen Studenten gar nicht vorbereitet.
Mit meiner letzten Frage komme ich an unseren Anfang zurück: Was soll Ihr kommendes Buch vom Podcast unterscheiden?
Einer der Mehrwerte des Buches ist, das es als Nachschlagewerk besser funktioniert als ein Podcast. Viele der Interviews sind Zeitdokumente, die Studenten oder Musikerinnen auch mal nachschlagen oder zitieren möchten. Darüber hinaus enthält es viel Praktisches, was für Leute, die komponieren, singen oder spielen, in ihrem Alltag wichtig ist: Zeitmanagement und Verhandlungsgeschick oder Eifersucht und Kreativität. Da ich weder Musikwissenschaftlerin noch Journalistin bin, sondern ebenfalls eine Praktikerin, bietet es direkte Orientierungsmöglichkeit.
Vielen Dank.
Irene Kurka & Cornelie Kunkat – Irene Kurka ist Sopranistin und Podcasterin. Cornelie Kunkat ist Referentin für Frauen in Kultur und Medien beim Deutschen Kulturrat.
29. September 2020
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2020.