Wo sehen Sie aus Sicht der Schulen aktuell die größten Gefährdungen der Demokratie in Deutschland?
Schule ist die einzige Institution, die alle Mitglieder unserer Gesellschaft durchlaufen müssen. Sie bietet die Chance, vielfältige Lebensumstände kennenzulernen, Respekt vor dem Einzelnen zu erleben, gemeinsame Werte zu entwickeln. Somit hat Schule einzigartige Möglichkeiten, soziales Lernen, friedliche Konfliktlösung und demokratischen Umgang mit Minderheiten einzuüben. Leider wird dieses wertvolle Potenzial nicht optimal genutzt. Allenthalben fehlt es an Fachpersonal, Regelunterricht fällt aus, für soziale Anliegen und individuelle Zuwendung ist keine Zeit. Zugleich steht, wenn es um Schule geht, zu oft nur ein bestimmter Ausschnitt wie die schwachen Lese- und Mathematikkompetenzen der Schülerinnen und Schüler im Fokus.
Dabei nehmen auch die sozialen Kompetenzen junger Menschen ab. Zugleich entwickeln diese eine zunehmend pessimistische Sicht auf ihre Zukunftschancen. Die Kumulation von gesellschaftlichen und globalen Herausforderungen wie das Coronatrauma, der Krieg Russlands gegen die Ukraine, der Angriff der Hamas auf Israel, der Klimawandel und ökonomische Unsicherheiten schüren Ängste.
Fehlende Perspektiven und Ängste ziehen die Suche nach Lösungsvorschlägen nach sich. Totalitäre Ideologien machen einfache und schnelle Angebote. Instant-Lösungen werden den jungen Menschen schmackhaft gemacht: auf TikTok, Instagram und YouTube rund um die Uhr. Ganz analog stehen die Anhänger der kleinen rechtsextremen Partei „Der III. Weg“ vor Schulen. Auch wenn geschichtsrevisionistische Slogans wie „National, Revolutionär, Sozialistisch“ nicht bei allen Jugendlichen gut ankommen – die Begriffe werden trotzdem verbreitet.
Die Offenheit junger Menschen für die Themen und Begriffe der Rechtsextremen wird auch bei ihrer Parteienpräferenz deutlich. Für die Studie „Jugend in Deutschland 2024“ (Hurrelmann/Schnetzer) befragte 14- bis 29-Jährige würden mit 22 Prozent am häufigsten die AfD wählen. Noch vor zwei Jahren konnten sich das erst 9 Prozent vorstellen. Weitere 20 Prozent würden die CDU/CSU, 18 Prozent Bündnis 90/Die Grünen, 12 Prozent die SPD, 7 Prozent die Linke wählen.
Die gute Nachricht: Jugendliche können Resilienz entwickeln gegen Menschenfeindlichkeit in ihren diversen Erscheinungsformen wie Rassismus, Antisemitismus, Homophobie oder Sexismus, deren Schnittmenge die Ideologie der Ungleichwertigkeit von Menschen ist. Das Netzwerk „Schule ohne Rassismus –Schule mit Courage“ setzt hier mit seinem Motto „Lernziel: Gleichwertigkeit“ einen Kontrapunkt. Dass alle Menschen gleichwertig sind, muss praktisch erfahren werden. Erst wenn Schülerinnen und Schüler im Alltag erleben: „Alle Mitglieder der Gruppe sind gleich wert, unterschiedliche Interessen können zu guten Kompromissen führen, meine Bedürfnisse und Gefühle werden wahrgenommen, ich werde ernstgenommen, ich kann mitwirken“, – erst dann können sie Selbstvertrauen entwickeln. Dem breiten Spektrum der kunstpädagogischen Methoden kommt in diesem Zusammenhang eine herausragende Rolle zu.
Was können Kunst und Kultur im Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bewirken?
Darstellendes Spiel ermöglicht es, auf der Bühne in fremde Rollen zu schlüpfen, andere Sichtweisen zu erleben oder auch unter dem Schutz einer Maske Ängste und Träume darzustellen. Im Rollenspiel oder auch in Argumentationstrainings lernen Jugendliche, gegen menschenfeindliche Positionen aufzutreten. Gemeinsames Musizieren hilft dabei, Aufmerksamkeit auf die Gruppe zu richten, gemeinschaftliches Handeln wertzuschätzen und die eigenen Gefühle auszudrücken. Und mit einem Graffiti kann die Visualisierung auch von kontroversen Themen und komplexen Anliegen gelingen. So werden diese in der Gruppe besprechbar, und Lösungen können gemeinsam entwickelt werden.
Kurz gesagt: Kreative, künstlerische Methoden helfen, Kompetenzen zu entwickeln, die eine solidarische, demokratische Gesellschaft zusammenhalten. Jede Kunst- und Musikstunde, die nicht ausfällt, stärkt eine menschenfreundliche, solidarische Gesellschaft.
Sanem Kleff ist Direktorin der Bundeskoordination Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/24.