Susanne Stephani im Gespräch mit Anne Lisa Martin
Seit 2017 wurden im Mentoring-Programm des Deutschen Kulturrates für Frauen in Führungspositionen in Kultur und Medien fünf Durchläufe des 1:1-Mentorings für insgesamt 130 Frauen organisiert. Der sechste Durchlauf startet im Oktober mit 40 Tandems. Nun haben die Programm-Alumnae das interdisziplinäre, branchen- und spartenübergreifende Netzwerk für Geschlechtergerechtigkeit in Kultur und Medien Women in Arts and Media, kurz WAM, gegründet. Anne Lisa Martin spricht mit der Vorstandsvorsitzenden Susanne Stephani über Führungsverantwortung, Mentoring und Netzwerkarbeit.
Frau Stephani, was bedeutet es für Sie, eine Führungsposition einzunehmen?
Führung zu übernehmen heißt, eine Institution, ein Unternehmen aktiv zu gestalten. Das geschieht nicht nur aus einer Spitzenposition heraus, sondern auch von unten oder unter Gleichen. Das ist eine umfassende Ressource. Früher hieß es, dass der Begriff Verantwortung vom Wort Antwort kommt; eine – damals zumeist männliche – Führungskraft war mit dem Anspruch konfrontiert, selbst mehr zu wissen als andere und vor allem zu senden. Ich halte das für falsch. Führung heißt auch, das Bestehende infrage zu stellen, ja: Fragen zu stellen und zuzuhören. Das geht mit Empathie, Klarheit, Begeisterung – aber auch mit der Offenlegung eigener Zweifel. Eine zeitgemäße Führungskraft übernimmt Verantwortung für das Erreichen der gemeinsamen Ziele und schafft Rahmenbedingungen für gemeinsame Prozesse.
Welche Möglichkeiten sehen Sie, Veränderungsprozesse anzustoßen?
Für die Stärkung von Frauen in Führungspositionen benötigen wir politische Arbeit, z. B. an den Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Karriere und Familie, Betreuung von Kindern oder Pflege von Familienmitgliedern. Dies kann eine Wiedereinstiegsförderung nach der Elternzeit sein oder die Anerkennung von Care-Arbeit als gleichwertig zu Erwerbsarbeit – hier müssen wir Gender-Pay-Gap und Gender-Care-Gap zusammendenken. Politik schafft die Verbindlichkeit, die Gesellschaft kann es vorleben. Wir müssen nicht vom Problem her, sondern von praktischen Lösungen kommen.
Während die Politik den Rahmen schafft, kann die Gesellschaft vorangehen – und die Schritte gemeinsam angehen. Dazu zählt, die Vielfalt der Stimmen bei der Besetzung von Podien und Jurys zu beachten, transparente Verfahren mit Qualitätssicherung zu etablieren, das heißt auch, Kriterien offenlegen und schon bei Ausschreibungen überlegen, welche Rahmenbedingungen benötigt werden. Hierbei sind die Fragen entscheidend: Wird Kinderbetreuung bei den Antragssummen berücksichtigt? Ermöglichen Residenzorte das Mitnehmen von Kindern? Und: Wir können bei aller Präsenzleidenschaft auch bei Veranstaltungen weiterhin hybride Formate anbieten und somit Zugänge ermöglichen.
Das Netzwerk Women in Arts and Media, kurz WAM, hat sich aus dem Mentoring-Programm des Deutschen Kulturrates entwickelt. Welche Motivation hat zu der Gründung geführt?
Das Mentoring-Programm war zunächst auf ein 1:1-Mentoring ausgelegt. Dabei entstand aber auch über die Jahrgänge hinweg eine Gruppe von Mentees, die alle mindestens zehn Jahre im Beruf sind und somit spannende Profile entwickelt haben: von der stellvertretenden Leitung eines Opernhauses, einer Chefdramaturgin, über die Leiterin einer kulturfördernden Stiftung bis hin zu Kuratorinnen, Künstlerinnen und Musikerinnen. Wir haben gemerkt, welche Kraft in diesem Netzwerk steckt. Diese wollten wir für die gemeinsamen Ziele – mehr Frauen in Führung und Geschlechtergerechtigkeit – einsetzen. Für uns war es ein Gewinn, branchen- und spartenübergreifend zusammenzukommen; dies wollten wir auch für andere öffnen und somit Nachhaltigkeit schaffen. In einem Remote-Prozess haben rund 20 Frauen die Gründung vorbereitet und 40 Frauen haben im Dezember 2021 WAM gegründet. Nun haben wir schon über 150 Mitglieder und freuen uns auf die nächsten gemeinsamen Etappen!
Abseits der 1:1-Beziehung im Mentoring-Programm findet doch sicher auch eine Unterstützung der Mentees untereinander statt, jede Teilnehmerin bringt schließlich spezifische Erfahrungen aus zehn Jahren Berufstätigkeit mit. Wie viel Peer-Mentoring ergibt sich nun auch innerhalb des WAM-Netzwerks?
Die Gründungsmitglieder sind gut vernetzt und schaffen eine Basis für vertrauensvollen Austausch über berufliche und persönliche Fragestellungen. Mit der Präsentation von WAM bei der Fachtagung „Frauen in Führung“ des Deutschen Kulturrates im Juni dieses Jahres, dem Launch unserer Homepage und der Resonanz in den Medien haben sich zu unserer Freude weitere Kulturschaffende entschieden, Mitglied zu werden. Es ist ein unglaubliches Gefühl, Begeisterung und Solidarität zu erfahren sowie gemeinsam für unsere Ziele zu arbeiten. Im Rahmen von analogen Treffen der sieben Regionalen Foren und darüber hinaus bei digitalen, überregionalen Veranstaltungen und thematischen Arbeitskreisen vernetzen wir neue Mitglieder. Geplant sind auch Formate der kollegialen Fallberatung. So wollen wir den erfahrungsreichen Ressourcenpool, der WAM auszeichnet, für alle Mitglieder erfahrbar machen.
WAM wird im Oktober ein Mentoring-Programm anbieten. Welche Ausrichtung wird das Programm haben?
Wir haben uns sehr über die große Resonanz auf unsere bundesweite Ausschreibung von „WAM Exchange“ gefreut. Wir konnten aus den beeindruckenden Bewerbungen 15 Mentees einladen. Das Mentoring soll die Möglichkeit geben, das eigene Netzwerk zu erweitern. Angeboten werden eine 1:1-Mentoring-Session, Impulse für die persönliche und berufliche Weiterentwicklung sowie der Besuch verschiedener Kulturinstitutionen und der Austausch mit den jeweiligen Geschäftsführungen. Die Mentorinnen sind Mitglieder des Vereins Women in Arts and Media und arbeiten in verantwortungsvollen Positionen in unterschiedlichen Bereichen der Kultur- und Medienbranche. Der Mentoringtag ist der Ausgangspunkt für verschiedene Formate, die wir im kommenden Jahr für ein generationsübergreifendes Mentoring und auch kollegialen Austausch innerhalb der Mitglieder von WAM planen.
Welche Impulse haben Sie aus der Fachtagung „Frauen in Führung“ des Deutschen Kulturrates und Ihrer ersten WAM-Mitgliederversammlung für Ihre Arbeit im Netzwerk mitgenommen?
Es war ein großer emotionaler Augenblick nach der größtenteils digitalen Gründungsphase, mit den Mitgliedern zusammenzukommen. Der WAM-Effekt war spürbar: Ideen, Umsetzungskraft und die Freude am persönlichen, intensiven Austausch. Ein Mitglied sagte: „Das gibt mir Energie für die nächsten Monate!“ Bei der Fachtagung dann mit anderen langjährigen Netzwerken in Kontakt zu kommen, hat uns unserem Ziel, Plattform und Schnittstelle zu sein, nähergebracht. Wir wissen, dass wir an eine lange Tradition von fantastischen Frauennetzwerken anknüpfen, und es war für uns entscheidend, durch die Inputs von ihrer Expertise zu lernen und gleichzeitig auch gemeinsame Ideen zu entwickeln.
Susanne Stephani ist Kultur- und Stiftungsmanagerin und seit 2021 Vorstandsvorsitzende von WAM – Women in Arts and Media. Anne Lisa Martin ist Assistentin im Projekt Studien zur Geschlechtergerechtigkeit des Deutschen Kulturrates.
Dieser Text ist Teil des Dossiers „Frauen in Führung“. Die einzelnen Beiträge des Dossiers werden durch Illustrationen prägender Frauen aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart begleitet.