Sophie Drozdzewski
Seit Odysseus seinen Sohn Telemachos in die Hände seines guten Freundes Mentor übergab, ist uns Mentoring ein Begriff. Auch in Kultur und Politik finden sich seither einige berühmte Karriere-Tandems, sei es Christian Dior, der Yves Saint Laurent in die Pariser Modewelt einführte, Tina Turner, die Mick Jagger unter ihre Fittiche nahm, oder Helmut Kohl, der die Karriere von Angela Merkel förderte. Häufig ist den beteiligten Personen dabei gar nicht bewusst, dass sie in einer Mentoring-Beziehung stecken – es passiert „einfach so“. In den letzten Jahren hat sich Mentoring aber auch als wirksames Personalentwicklungsinstrument etabliert, bei dem das Mentoring von einer dritten Partei aktiv initiiert und begleitet wird. Insbesondere zum Zwecke der Förderung von Frauen und ihrer Begleitung auf dem Weg an die Spitze ist Mentoring gefragt.
Unterstützung von A wie Aufstieg bis Z wie Zeitmanagement
Mentoring bezeichnet eine Entwicklungsbeziehung zwischen einem erfahreneren Mentor oder einer Mentorin und einem weniger erfahrenen Mentee mit dem Ziel, die persönliche und berufliche Entwicklung des Mentees zu fördern. Mentorinnen und Mentoren teilen dabei ihren Wissens- und Erfahrungsschatz und beraten die Mentees in Lebens- und Karrierefragen. Von diesem wechselseitigen Dialog und Austausch profitieren ebenso die Mentorinnen und Mentoren.
Die Unterstützung, die Mentorinnen und Mentoren anbieten, spiegelt sich dabei in drei Facetten wider. Die erste Facette umfasst die klassische karrierebezogene Unterstützung. Dies beinhaltet zum einen die Beratung zu verschiedenen Karrierewegen, Karrieretipps und wie man den eigenen passenden Weg für sich findet. Zum anderen treten Mentorinnen und Mentoren häufig als Fürsprecher auf, setzen sich also für die Beförderung ihrer Mentees ein, teilen aktiv ihr Netzwerk und fungieren dabei als Türöffner für neue berufliche Möglichkeiten. Auch die Teilhabe an Projekten oder Publikationen, die die Reputation der Mentees stärken, ist dabei karriereförderlich. Die zweite Facette bildet die psychosoziale Unterstützung. Mentorinnen und Mentoren sehen meist in ihren Mentees mehr, als diese selbst sehen können, und ermutigen sie, ihr Potenzial voll auszuschöpfen. Diese Bestärkung und Ermutigung, aber auch ein offenes Ohr für auftretende Probleme und Herausforderungen im Arbeitsalltag ist gerade für Frauen oft der ausschlaggebende Faktor dafür, Hürden erfolgreich zu meistern und die eigenen beruflichen Ziele weiter zu verfolgen. Zuletzt spielt auch die Vorbildfunktion der Mentorinnen und Mentoren eine wichtige Rolle. Sie leben einen konkreten Karriereweg vor und sind ein greifbares Beispiel dafür, was man erreichen kann.
Das Schöne: Mentoring ist überaus flexibel und daher gut mit dem Alltagstrubel vereinbar. Wie oft sich die Tandems treffen und welche Themen dabei in den Fokus genommen werden, bestimmen die Tandems selbst. Von der Vorbereitung des nächsten Karriereschritts über Zeitmanagement bis hin zu Selbstzweifeln kann alles angesprochen werden. Auch das Setting des Mentorings kann mannigfaltig sein und dabei verschiedene Aktivitäten miteinbeziehen, sei es ein Lunch, gemeinsames Joggen oder der gegenseitige Besuch des Arbeitsplatzes. Mentoring bietet dabei mehr als nur Gespräche – beispielsweise kann Feedback auf das eigene Auftreten für die nächste Vorstandspräsentation außerordentlich hilfreich sein.
Wirksamkeit und Effekte von Mentoring
Die Wirksamkeit von Mentoring wurde in den letzten Jahrzehnten eingehend untersucht. Dabei konnte die Mentoring-Forschung einige Benefits aufzeigen, sowohl für Mentoring-Teilnehmende als auch für Organisationen, die Mentoring als Entwicklungsinstrument einsetzen. So konnten einige Studien und später auch große Meta-Analysen zeigen, dass Mentoring-Teilnehmende immens vom Wissens- und Erfahrungsaustausch profitieren. Die Mentees gewinnen einen Wissensvorsprung, indem sie stellvertretend von den Erfahrungen der Mentorinnen und Mentoren lernen. Dazu zählt auch implizites Wissen, wie ungeschriebene Spielregeln von Macht und Mikropolitik, deren Kenntnis für den Aufstieg in Organisationen immens wichtig sind. Auch die Reflexion des eigenen Führungsverständnisses und der Austausch über verschiedene Führungsstile sind überaus fruchtbar. Mentoring trägt entscheidend dazu bei, Klarheit über die eigenen Karriereziele zu erlangen und Strategien zu entwickeln, wie sich diese Ziele erreichen lassen. Der Austausch über mögliche Hürden auf diesem Weg und insbesondere die konkrete Unterstützung bei tatsächlich eintretenden Herausforderungen – beispielsweise die Konfliktmediation im zu führenden Team – trägt die Mentees über schwierige Zeiten hinweg. Die Mentees werden stressresistenter und selbstbewusster, sind zufriedener mit ihrer Arbeit und fühlen sich ihrer Organisation verbundener. Es ist nicht verwunderlich, dass Mentees schneller befördert werden und im Schnitt höhere Gehälter genießen als Personen, die nicht am Mentoring teilnehmen.
Studien konnten überdies zeigen, dass Frauen in der Organisation sichtbarer werden und Zugang zu bisher überwiegend männlich besetzten Netzwerken gewinnen. Der Einsatz von Mentoring kann demnach dazu beitragen, althergebrachte Strukturen aufzubrechen und einen Kulturwandel zu befeuern. Frauen erhalten im Mentoring Impulse, wie die Vereinbarkeit von Karriere und Familie gelingen kann und wie sie Führung für sich gestalten wollen. Ihre Motivation, Führungsaufgaben zu übernehmen, wird gestärkt.
Gewiss ist Mentoring keine Einbahnstraße – auch Mentorinnen und Mentoren gewinnen im Dialog neue Ideen, Sichtweisen und Perspektiven. Sie lernen die Ansichten und Werte der nächsten Generation kennen und bleiben durch den regelmäßigen Austausch auf dem aktuellen Stand der Entwicklungen. Gleichzeitig trainieren sie im Mentoring ihre Beratungskompetenzen. Die Reflexion der eigenen Erfahrungen und des eigenen Führungsstils trägt dazu bei, die eigenen Führungskompetenzen zu verbessern – gerade durch konstruktives Feedback der Mentees. Nicht zuletzt werden männliche Mentoren für die Belange weiblicher Führungskräfte sensibilisiert.
Organisationen, die Mentoring einsetzen, profitieren in erster Linie von der Stärkung ihres Humankapitals. Die Arbeitsleistung fällt durch den generierten Motivations- und Kompetenzgewinn im Vergleich höher aus. Des Weiteren erfahren sie weniger Kündigungen und bauen ihren Pool aus kompetenten Nachwuchskräften weiter aus. Ebenso zeigen Belege, dass die Arbeitsgeberattraktivität durch Mentoring gesteigert werden kann. Inwieweit der Anteil von Frauen in Top-Management-Positionen tatsächlich erhöht werden kann, wird zukünftige Forschung zeigen.
Vom Reinfall bis zum Mentoring-Erfolg
Wie jede andere Beziehung in unserem Leben auch, kann Mentoring in der Qualität schwanken – von dysfunktional über durchschnittlich bis hin zu qualitativ hochwertig. Nur besonders hochwertiges Mentoring wird in der Konsequenz auch außergewöhnlich wirksam sein. Welche Faktoren spielen dabei eine Rolle?
Zunächst ist die Wirksamkeit des Mentorings davon abhängig, wie professionell der organisatorische Rahmen aufgestellt ist, in dem das Mentoring stattfindet. Von der Zielsetzung, dem passgenauen Zuschnitt auf die Zielgruppe, der Zuordnung sowie Vorbereitung und Begleitung der Teilnehmenden bis hin zur stetigen Qualitätssicherung gibt es einiges zu beachten. Auch die sinnvolle Verzahnung mit anderen effektiven Tools der Führungskräfteentwicklung, wie Coaching und Training, muss dabei Beachtung finden.
Weiterhin sind auch die Mentoring-Teilnehmenden selbst gefragt. Einige Studien aus diesem Bereich konnten zeigen, dass es sowohl förderliche als auch kontraproduktive Mentoring-Verhaltensweisen und -Einstellungen gibt. Grundsätzlich bildet die Offenheit für neue Perspektiven, Lernbereitschaft und Neugier auf den anderen das Fundament des Mentorings. Zielsetzung und gegenseitige Erwartungsklärung zu Beginn helfen, Frustrationen vorzubeugen und dem Prozess eine Struktur zu geben. Der wichtigste Faktor ist allerdings Zeit – Zeit, sich kennenzulernen, Zeit für den Dialog und Zeit für Entwicklung. Wer sich keine Zeit für das Mentoring nimmt, darf am Ende nicht überrascht sein, wenn sich nichts getan hat.
Überdies ist auch das Mindset entscheidend. Aufseiten der Mentees ist eine aktive Haltung begrüßenswert. Diese Mentees treiben den Rhythmus des Mentorings, bereiten Treffen vor und bringen aktiv Themen ein, die sie gerade beschäftigen. Aufseiten der Mentorinnen und Mentoren ist eine überlegene „Lehrer-Schüler-Mentalität“ genauso kontraproduktiv wie eine „Fix the women“-Haltung, bei der die Annahme besteht, man solle Frauen für den männlichen Arbeitsmarkt fit machen. Stattdessen ist ein Austausch auf Augenhöhe und gegenseitige Wertschätzung gefragt – auch für unterschiedliche Herangehensweisen.
In Summe konnte die Mentoring-Forschung einige Belege dafür finden, wie wirksam Mentoring sein kann, wenn es professionell und qualitativ hochwertig durchgeführt wird. Gerade inspirierende Mentorinnen verleihen dabei weiblichen Mentees den Mut, ihren Träumen entschlossen zu folgen. Es lohnt sich, in die Fußstapfen von Tina Turner zu treten und anderen die Hand zu reichen.
Sophie Drozdzewski ist Consultant und Trainerin mit Schwerpunkt Mentoring und Leadership Development bei Cross Consult.
Dieser Text ist Teil des Dossiers „Frauen in Führung“. Die einzelnen Beiträge des Dossiers werden durch Illustrationen prägender Frauen aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart begleitet.