Digitale Transformation für Frauen positiv gestalten
Cornelie Kunkat spricht mit Maren Heltsche, Programmiererin und Vorstand der Digital Media Women. Über 115 aktive Ehrenamtliche aus neun Quartieren und über 24.000 Community-Mitglieder arbeiten für mehr Sichtbarkeit von Frauen im Medienbereich – sie sind Digital Media Women.
Cornelie Kunkat: Was waren die Beweggründe die Digital Media Women, kurz #DMW, zu gründen? Wann haben Sie sich formiert?
Maren Heltsche: Die #DMW wurden 2010 gegründet. Auslöser war die schmerzende Feststellung, dass wir auf den Konferenzen, auf denen wir uns aufgehalten haben, zu wenige Frauen auf der Bühne gesehen haben. Wir kannten viele Frauen, die in der Digital-Branche, z. B. Journalismus oder Online-Marketing, arbeiten, aber irgendwie waren kaum welche auf den Bühnen vertreten. Schließlich schrieb die Initiatorin der #DMW, Carolin Neumann, ein Blogpost dazu und fand darüber die Co-Gründerinnen in Hamburg. Alle hatten dieselben Erfahrungen gemacht. So entstand die Idee, ein Netzwerk zu gründen, um die Sichtbarkeit von Frauen in ihrem professionellen Umfeld zu steigern und sich zu vernetzen. Recht bald meldeten sich Frauen aus anderen Städten, so entstanden nach und nach neue Quartiere – also unsere Standorte. Mittlerweile sind es neun bundesweit, wir sind aber auch virtuell sehr aktiv. Wir haben eine Online-Community auf Facebook und Twitter mit über 20.000 Leuten. Die #DMW sind von Anfang an ein Netzwerk gewesen, das sich offline trifft, Veranstaltungen macht und online vernetzt ist.
Was konnten Sie bisher erreichen?
Es gelingt uns, Frauen zu empowern und einfach dieses Aha-Erlebnis zu schaffen: Bestimmte Dinge liegen nicht an mir selbst, sondern sind systeminhärent. Meine Probleme haben andere Frauen auch. Deshalb müssen wir uns gegenseitig unterstützen. Es geht uns aber nicht primär darum, unsere Verhaltensweisen anzupassen, sondern auf die Strukturen Einfluss zu nehmen. Nach dem Motto: „Don’t fix the women, fix the system“.
Ein weiterer Erfolg ist, die „Awareness“ für Gender-Diversität auf Bühnen zu steigern. Wir bekommen viele positive Rückmeldungen von Konferenzorganisatorinnen und -organisatoren, die sich durch unsere Unterstützung dem Ideal mehr genähert haben. In diesem Zusammenhang ist einer unserer Leitsätze „dafür und nicht dagegen“ sehr wichtig. Das heißt, wir zetteln keinen Shitstorm an, wenn zu wenige Frauen auf den Bühnen sind. Wir fragen aber kritisch nach und schicken gleich ein paar Tipps mit. Tatsächlich hat der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) im letzten Jahr aufgrund unseres Lobbyierens eine Quote eingeführt, damit sowohl die Arbeitsstrukturen als auch die Konferenzen diverser hinsichtlich der Geschlechterverteilung werden. Unser drittes Anliegen ist, die digitale Transformation für Frauen positiv zu gestalten.
Welche Chancen sehen Sie hier konkret?
Digitale Kommunikationswege treiben die Vernetzung voran und ermöglichen den einfacheren Zugang zu Informationen. Diese Chancen nutzen wir als Digital Media Women ständig, sie erleichtern und ermöglichen uns Vieles. Außerdem sehen wir viele Chancen in der digitalen Arbeitswelt: Die Strukturen sind zwar noch männlich dominiert – im technischen Umfeld wahrscheinlich noch mehr als in anderen – aber es gibt unglaublich viele unbesetzte Stellen, neue Jobprofile und deshalb große Chancen für Quereinsteigerinnen. Außerdem ändert sich im Zuge der digitalen Transformation die Führungskultur. Hier gibt es viele Chancen für Frauen, ihre Fähigkeiten einzubringen.
Haben Sie das Gefühl, dass die Männer in Ihrer Branche mehr mit Ihnen an einem Strang ziehen als in anderen Branchen, z. B. im Theater- oder Musikbereich?
In meinem persönlichen Arbeitsumfeld, im Open-Source-Software-Bereich, habe ich nur unterstützende Männer erlebt. Ich kenne unglaublich viele feministische Männer in dieser Branche. Diese Männer sind wichtige Verbündete. Aber es gibt auch gegenteilige Erfahrungen. In der IT sieht es grundsätzlich nicht anders aus als in anderen Gesellschaftsbereichen.
Was würden Sie als Ihre größten Herausforderungen beschreiben?
Für die #DMW sind es die Ressourcen. Wir sind ein Verein, der bundesweit aus 120 ehrenamtlich arbeitenden Frauen besteht und sich über Fördermitgliedsbeiträge und Sponsoring finanziert. Aber auch für so viele Schultern ist es einfach sehr viel Arbeit. Hinzu kommt die Fluktuation im Ehrenamt, die kontinuierliches Arbeiten an politischen Themen erschwert. Erst seit anderthalb Jahren haben wir eine 450-Euro-Kraft als Backoffice. Aber ohne öffentliche Gelder ist eine Planungssicherheit derzeit nicht in Sicht. Das ist bedauerlich, denn wir könnten noch viel mehr machen, wenn wir genügend verlässliche Ressourcen hätten.
Was wünschen Sie sich perspektivisch für die nächsten fünf Jahre?
In 20 Jahren wünsche ich mir, dass wir gar nicht mehr existieren müssen. In fünf Jahren sehe ich das noch nicht. Gerade haben wir eine Kampagne mit dem Namen #30mit30 gelauncht. Hier suchen wir 30 Unternehmen, die 30 Prozent Frauen oder mehr in Führungspositionen haben. Und ich wünsche mir für in fünf Jahren, dass wir die Kampagne entweder #50mit50 nennen können oder noch besser: gar nicht mehr durchführen müssen. Aber ich vermute, auch in fünf Jahren ist das noch zu optimistisch gedacht.
Vielen Dank.
Maren Heltsche ist Vorstand der Digital Media Women, Mitgründerin der Plattform speakerinnen.org und arbeitet als Programmiererin bei der Stiftung myclimate.
Cornelie Kunkat ist Referentin für Frauen in Kultur und Medien beim Deutschen Kulturrat.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06|2019.