Die Direktorin des Stuttgarter Linden-Museums Inés de Castro im Porträt
Von Andreas Kolb
Sucht man im Netz nach Inés de Castro, so stößt man zuerst auf eine berühmte galizische Adlige, Geliebte und spätere Ehefrau des portugiesischen Königs Dom Pedro I, die auf Befehl seines Vaters, König Alfonso IV, im Jahre 1355 hingerichtet wurde. Bei weiteren Recherchen findet man jedoch eine gleichnamige Protagonistin, die heute in Stuttgart lebt und wirkt: Inés de Castro, seit etwa zehn Jahren erfolgreiche Direktorin des Linden-Museums Stuttgart, eines der bedeutenden ethnologischen Museen in Deutschland. Vergangenes Jahr lehnte sie den Ruf als Leiterin der Sammlungen im neu gegründeten Berliner Humboldt Forum ab, um Direktorin „ihres“ Linden-Museums zu bleiben.
Nach de Castros medial beachteter Absage in Berlin scheint es damit vorbei zu sein, im Stillen Pionierarbeit zu leisten. Nach ihren Motiven gefragt, redet sie Klartext: „Ich sehe hier einfach mehr Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit als in Berlin. 1911 gegründet, ist das Linden-Museum baulich und ausstellungstechnisch in die Jahre gekommen und ein Neubau tut not. Wir haben über Gelder der Bundeskulturstiftung und auch des Landes nun die Möglichkeit, in den nächsten Jahren neue Wege der Präsentation und neue Wege der Partizipation auszuprobieren, bevor wir zu einer Neukonzeption übergehen. Ich finde es extrem spannend, selbstkritisch das Haus, seine Rolle sowie seine Bedeutung unter die Lupe zu nehmen und zu überlegen: Wie kann ein ethnologisches Museum in der Zukunft aussehen?“
Inés de Castro ist gebürtige Argentinierin, die Familie ihres Vaters emigrierte 1938 aus Deutschland. Sie wuchs in einem kosmopolitischen Umfeld in Buenos Aires auf. Sie ging dort im Lycée Français zur Schule. Den Eltern war es wichtig, dass die Kinder ein europäisches Abitur hatten, um später auch in Europa studieren zu können. Aus der Metropole Buenos Aires ging es dann ins beschauliche westfälische Paderborn: „In jungen Jahren bin ich nach Deutschland gekommen und habe in Paderborn Abitur gemacht.“
Inés de Castro war schon als Kind gern in Museen. Ihr Interesse für alte Kulturen, für Archäologie und Ägyptologie wurde dadurch früh geweckt. Die lebensbestimmende Entscheidung für die Ethnologie und Altamerikanistik traf de Castro bei einer Reise nach Mexiko nach dem Abitur: „Ich sah und erlebte Mexiko, verliebte mich in diese Kulturen und in dieses Land und beschloss, Ethnologie mit Amerika-Schwerpunkt zu studieren. Ethnologie auch deshalb, weil ich mich nicht nur für das Altertum, sondern auch für die heutige Zeit interessiere.“ Inés de Castro studierte und promovierte an der Universität Bonn. Den Schwerpunkt ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit legte sie auf die Kulturen Mesoamerikas – der Weg für eine wissenschaftliche Karriere schien vorgezeichnet.
Doch dann kam das Angebot eines Volontariats in München und die Faszination musealer Vermittlung ließ sie seither nicht mehr los: „Die ethnologischen Häuser werden in einer von kultureller Diversität gekennzeichneten Gesellschaft eine immer größere Bedeutung haben. Während der Kolonialzeit entstanden, müssen sie nach neuen Wegen suchen, sich partizipativ mit ihren Wurzeln auseinanderzusetzen.“
Bevor de Castro 2010 die Stelle als Direktorin des Stuttgarter Linden-Museums antrat, war sie stellvertretende Direktorin, Prokuristin und Kuratorin der ethnologischen Sammlungen des Roemer- und Pelizaeus-Museums Hildesheim. Jetzt, nach zehn Jahren Dienst im in die Jahre gekommenen Haus am Stuttgarter Hegelplatz, steht für die Direktorin die Neukonzeption des Linden-Museums an.
Wie sieht eine andere Form von Museum aus? Welche Relevanz haben die alten Sammlungen heute noch? Wie geht man mit der eigenen Geschichte und dem kolonialen Erbe um? Wie kann man etwas, das so flexibel und veränderbar ist wie Kultur, in Ausstellungen, also in etwas Stetiges gießen, ohne Stereotypen zu kreieren? Wie kann man Partizipation und Teilhabe aus den Herkunftsgesellschaften und aus der diversen Stadtgesellschaft zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Museumsarbeit machen? Das sind die Fragen, die de Castro und ihre wissenschaftlichen Mitarbeiter derzeit und vermutlich auch in den nächsten Jahren umtreiben: „Unter neuem Namen sehen wir die Zukunft des Linden-Museums als eine Dialogplattform, als großen Workshop, in dem partizipativ über den Bedeutungswandel unserer Sammlungen diskutiert werden kann. Und in dem man sich über wichtige Herausforderungen unserer Zeit austauschen kann.“
Unter großem medialem Interesse übergab die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer Ende Februar 2019 die Bibel und die Peitsche des namibischen Volkshelden und Nama-Anführers Hendrik Witbooi an Namibia zurück. Die Rückgabe gilt als Zeichen im Prozess der Versöhnung und als Auftakt für eine gemeinsame Aufarbeitung der deutsch-namibischen Kolonialgeschichte. De Castro begrüßt es, dass die Auseinandersetzung mit der Kolonialzeit durch diese Debatte öffentlich geworden ist: „Die Aufarbeitung der Kolonialzeit ist jedoch nicht allein eine Museumsaufgabe, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“ Am 15. März eröffnete das Linden-Museum seine Afrika-Dauerausstellung neu. Als deren Konzeption vor etwa drei Jahren erste Formen annahm, hatte niemand geahnt, dass dies in einem solchen kulturpolitischen Umfeld geschehen würde. Die Debatte ist stark auf Afrika fokussiert und de Castro wünscht sich, dass diese Debatte „nicht nur auf die formale Kolonialzeit Deutschlands bezogen, sondern auf Unrechtskontexte im Allgemeinen“ ausgeweitet wird.
Danach gefragt, wie es ihr persönlich beim Restitutionsbesuch in Namibia ergangen ist, sagt de Castro: „Es war sehr berührend und emotional. Man verstand erneut, welche ungeheure Bedeutung Objekte haben können. Gerade bei der älteren Generation lagen die widersprüchlichen Emotionen ganz nah beieinander: Zum einen tiefes Leid über die Grausamkeit der deutschen Kolonialherren, zum anderen aber auch unsägliche Freude darüber, diese Objekte zurückzubekommen.“
Andreas Kolb ist Redakteur von Politik & Kultur.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5|2019.