Die JSUD-Präsidentin Dalia Grinfeld im Porträt
Von Andreas Kolb
Schlägt man auf dem sozialen Netzwerk „LinkedIn“ die Seite von Dalia Grinfeld auf, dann ist man überrascht, wie viele Tätigkeiten und Stationen der Lebenslauf einer erst 24 Jahre jungen Beraterin und Politikwissenschaftlerin schon beinhalten kann. Sechs Preise und Auszeichnungen zieren ihre Vita. Grinfeld spricht Deutsch, Englisch, Russisch, Spanisch und Hebräisch. Und auch den kurpfälzischen Dialekt versteht sie gut, denn mit 18 nahm sie ein Studium an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg in Politischen Wissenschaften und Jüdischen Studien auf. Neben dem Studium war sie als Präsidentin des Bund Jüdischer Studenten Baden e.V. ehrenamtlich tätig. Sie lebte und arbeitete für einige Monate in New York und der Schweiz, studierte an der Academia de Buenos Aires und ging für ein Auslandssemester an die Privatuniversität IDC Herzliya in Tel Aviv.
Im Rahmen des Gemeindetages des Zentralrates der Juden in Deutschland am 8. Dezember 2016 in Berlin wurde sie mit 23 Jahren zur Präsidentin der von ihr mitbegründeten Jüdischen Studierenden Union Deutschland (JSUD) gewählt und somit auch eines von fünf Vorstandsmitgliedern des Verbandes. Die jüdische Online-Publikation „haGalil“ schrieb damals: „Als eine der mitgliedsstärksten jüdischen Gemeinschaften in Europa hat Deutschland somit wieder eine präsente junge jüdische Stimme.“
Ihre Heimat sei Berlin, sagt Grinfeld. Polyglott ist sie, weil die Mutter aus Riga, ehemalige Sowjetunion, nach Berlin kam und später Dalias Vater, einen Argentinier, bei einem Israelaufenthalt kennenlernte. Ihren Lebensmittelpunkt gründete die multikulturelle Familie in Berlin, wo Tochter Dalia jüdisch und deutsch, aber auch russisch und argentinisch geprägt, aufwuchs. Dalia besuchte einen jüdischen Kindergarten, eine jüdische Grundschule, eine jüdische Oberschule und natürlich auch das jüdische Jugendzentrum in Berlin und Ferienlager.
„Ich bin Jude“, sagt Grinfeld. „Ich bin auch deutsch. Vor einigen Jahren hätte ich das nicht sagen können.“ Und fährt fort: „Ich fühle mich am wohlsten, wenn ich sagen kann: Ich bin jüdisch. Jüdisch sein ist keine Nationalität. Nur in der Sowjetunion gab es diese Abstempelung entweder jüdisch sein oder sowjetisch. Jüdisches Leben ist vielfältig und umfasst von Kultur, über Geschichte und Werten mehr als eine Religion. Als jüdisches Volk sind wir in der ganzen Welt verteilt. Und doch fühlt man sich verbunden und zusammengehörig.“
Heute arbeitet die Politikwissenschaftlerin als politische Beraterin. Ihr Tag müsste eigentlich mehr als 24 Stunden haben, denn gut 35 Stunden pro Woche, so schätzt sie, wendet sie wöchentlich für die ehrenamtliche Arbeit als Präsidentin der JSUD auf. Die JSUD sieht sich als bundesweite Vertretung jüdischer junger Erwachsener zwischen 18 und 35 in Deutschland. Gemeint ist sowohl eine Vertretung der jungen Stimme nach innen in die diversen jüdischen Gemeinden hinein, sowie nach außen als junge jüdische Stimme gegenüber Politik, Hochschule, Parteien und Gesellschaft.
Die Arbeit der JSUD stützt sich im Wesentlichen auf drei Pfeiler:
- Sie ist klarer Ansprechpartner und Hilfesteller bei der Vernetzung und Professionalisierung lokaler und regionaler jüdischer Studierendenverbände.
- Sie ist die junge Stimme innerhalb bestehender jüdischer Institutionen in Deutschland: „Unsere Generation hat Themen auf dem Radar, die von den Gemeindevorständen nicht genügend wahrgenommen werden“, sagt Grinfeld und zählt auf: Empowerment von Frauen, Einsatz der JSUD für die Rechte und Inklusion von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender.
- Der JSUD ist die politische Interessenvertretung: „Es geht uns dabei darum, mit unserer jüdischen Brille einen Beitrag zum politischen Diskurs in Deutschland zu leisten und unsere Mitglieder zu vertreten“, sagt Grinfeld. Die Mitglieder des Studierendenverbandes wollen ihr jüdisches Leben leben und es mit Nichtjuden teilen – das bedeutet auch junges jüdisches Leben außerhalb der Schoah, außerhalb von Antisemitismus und Nahostkonflikt.
Grinfelds Heimatstadt Berlin ist auch heute noch ein Magnet für junge Menschen aller Kulturen, Religionen und Nationen. Das trifft insbesondere auf junge Israelis und junge jüdische US-Amerikaner zu, denn gerade in Berlin ist das jüdische Leben extrem vielfältig. Aber auch in anderen Metropolen wie Frankfurt, München, Köln, so Grinfeld, gebe es heute wieder ein reiches Angebot für junge Juden von säkular bis orthodox. Junge Menschen suchen in der JSUD insbesondere auch Normalität. Dieser Wunsch nach dem ganz normalen Leben wird von der Wirklichkeit nur allzu oft ignoriert. Das geht los bei scheinbar banalen Problemen, wie zentrale Prüfungstermine an der Universität, die auf hohe Feiertage oder auch Sabbat gelegt werden, ohne dass sich jüdische Studierende befreien lassen können. Wesentlich ernster ist die messbare Zunahme eines neuen Antisemitismus. „Auf dem Campus mit einer iPhone-Hülle mit einer Israel-Fahne drauf rumzulaufen, ist für mich schwieriger, als mit einem Davidstern um den Hals“, sagt Grinfeld.
Als JSUD-Präsidentin ist Dalia Grinfeld eine öffentliche Person, sie gibt Interviews und ist in Social Media aktiv. Dafür erhält sie viel positives Feedback, aber auch Hunderte von Online-Hasskommentaren: „Ich kann nicht zählen, wie oft ich Nachrichten mit ‚Judensau‘ erhalten habe.“ Antisemitismus habe sich fühlbar verstärkt, meint sie. Israel und Juden werden dabei in einen Topf geworden. Daran seien auch die BDS-Kampagnen – Boycott, Divestment and Sanctions – mitschuldig. Dabei ist es der JSUD wichtig, nicht als Israels Botschafter in Deutschland verstanden zu werden.
Ein Riesenthema für Grinfeld und ihre Jugendorganisation ist die AfD: „Wir sind keine homogene Gruppe, unsere Mitglieder sind über das komplette Parteienspektrum verteilt.“ Doch zur AfD sagt die JSUD: „AfNee – diese Alternative ist nicht koscher“. Zur Alternative für Deutschland bezog die JSUD klare Position in ihren Policies, verabschiedet auf der Vollversammlung 2018.
Andreas Kolb ist Redakteur von Politik & Kultur
Weitere Infos unter www.jsud.de
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3|2019.