Engagiert für Frauen in der Musik: Andrea Rothaug
Von Ursula Gaisa
Hätte der Tag 48 Stunden, könnte ihn Andrea Rothaug sicher auch füllen. Die 55-jährige Kulturmanagerin ist unter anderem Geschäftsführerin von RockCity Hamburg, dem Zentrum für Popularmusik, Präsidentin des Bundesverbands Popularmusik, stellvertretende Leiterin des Bundesfachausschusses Vielfalt des Deutschen Musikrats und Beiratsmitglied des Reeperbahnfestivals. Sie sitzt im Kuratorium des Junge Ohren Wettbewerbs der Berliner Festspiele, ist Veranstalterin, Autorin, Dozentin und Aktivistin. 2017 hat sie das erste von 16 Netzwerken, namens musichhwomen.de, für Frauen in der Musikbranche ins Leben gerufen, 2019 folgte die Gründung der bundesweiten Dachorganisation musicwomengermany.de, das ihre Tochter Juno als Projektleiterin betreut. Ziel ist es, Netzwerke in jedem Bundesland zu etablieren, zurzeit gibt es neben Hamburg Pendants in Bayern, Baden-Württemberg, Berlin, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.
„40 Prozent Punk, 40 Prozent Ökonomin, 20 Prozent Künstlerin“, so hat sie sich selbst einst beschrieben. Als Tourmanagerin begleitete sie „just for fun“ während ihres Studiums der Russistik und Linguistik Bands wie „Die Braut haut ins Auge“, „Die Sterne“ oder Rocko Schamoni. „Der Mix macht es“, sagt sie augenzwinkernd, „ich bin als Punk gestartet und war nebenbei Schulsprecherin … Wollte als Ökonomin in Musikwirtschaftsverbänden die Musikwelt besser machen und als wortverliebte Frau eigene Bücher schreiben. Mit Künstlerinnen zu leben und zu arbeiten, war dann für mich der letzte Akkord in diesem spannenden Orchester.“
Die Arbeit des Deutschen Kulturrates schätze sie sehr, auch, da hier ganz konkret Musikfrauen der Weg in die Musikbranche geebnet wird. Einer der Hauptgründe, warum sie bereits zum zweiten Mal im Mentoringprogramm für Frauen in Kultur und Medien des Deutschen Kulturrates mitwirkt: „Wissen weitergeben, menschlich bestärken und Netzwerke bauen“, das möchte sie in dieser ehrenamtlichen Funktion. Somit soll eine größtmögliche Hebelwirkung erzielt werden, da es im Kultur- und Medienbereich bisher kaum Förderprogramme für Frauen gibt, die explizit in Führungspositionen vorstoßen möchten. Andrea Rothaug dazu: „Musikfrauen müssen strategisch wichtige Positionen besetzen, sich qualifizieren, präsent sein und professionell netzwerken, da kann es wichtig sein, die Kindererziehung auf mehrere Schultern zu verteilen. Es lohnt sich auch, sich für verbesserte Arbeitsbedingungen für Frauen in Unternehmen einzusetzen und z. B. Kindererziehung gemeinsam zu thematisieren.“
Direkte Kommunikation ist in allen Bereichen, die Andrea Rothaug beruflich und ehrenamtlich bearbeitet, enorm wichtig. Wie geht das in Zeiten der Corona-Krise? Sieht sie auch gewisse Chancen für neue digitale Wege? „Die direkte Kommunikation face to face, Mensch zu Mensch, ist natürlich nicht ersetzbar, das ist uns allen jetzt hoffentlich klar geworden. Aber die Vorteile digitaler Kommunikation liegen natürlich auf der Hand: keine Anfahrt, die Meetings sind kurz und effizient, weil sich niemand sehr gern darin aufhält, dadurch haben wir mehr Platz im Terminkalender.“ Die neue Digitalität im Büro, auf Bühnen, beim Einkauf, die die Krise hervorgebracht hat, wird sich ihrer Meinung nach halten und neue Wege der Vermarktung und Kommunikation bieten: E-Learning-Tools, digitale Bühnen und Meetings sind kein Ersatz, aber bieten vielen Zielgruppen leichteren Zugang und sparen Wege. Analoge Treffen stehen aber weiter im Vordergrund.
Das 2019 von ihr gegründete „Dach“ aller Musikfrauen musicwomengermany.de bietet für 16 Ländervereinigungen zukünftig Vernetzung, Präsenz, Qualifikation und Sichtbarkeit – etwa mit einer zentralen Datenbank aller Musikfrauen in Deutschland über Genre- und Gewerbsgrenzen hinaus. „Das heißt, wir reden hier über Musikfrauen aus den Bereichen Art, Media, Business und Tech und den Bereichen Pop, Klassik, Neue Musik und Jazz. Das, was wir brauchen, um ihre Situation in Deutschland zu verbessern, sind im Besonderen Zahlen und Fakten, die schaffen wir mit der Datenbank.“ Daneben werden Qualifikationsmaßnahmen, Netzwerkveranstaltungen und Fortbildungsprogramme für Musikfrauen und Netzwerke bereitgestellt.
„Frauen sind in allen Bereichen der Musik stark unterrepräsentiert. Das heißt, wir haben prozentuale Anteile im Business zwischen einem und 20 Prozent. Das ist darin begründet, dass die Musikbranche zu fast 80 Prozent männlich ist, nicht nur im Pop. Männer sind häufig Gatekeeper, sie sitzen an den Schnittstellen, besetzen also wichtige Posten in der Folge meist auch mit Männern. Dazu sind die Arbeitsbedingungen in der Branche sehr speziell und leider nicht familienfreundlich: Nachtarbeit, 24/7-Einsatz, Konkurrenz, Projektarbeit und ein von Männern gestaltetes Umfeld.“ Als Beispiele nennt sie die Berufsfelder Dirigat oder die Tontechnik. Anders sehe es in den PR-Abteilungen oder Assistenzberufen aus.
Andrea Rothaug ist neben ihren zahlreichen ehrenamtlichen Funktionen und der Betreuung der oben genannten Netzwerke auch Geschäftsführerin von Rockcity Hamburg, aber auch Buchautorin, Mutter und Ehefrau. „Ja, mein Tag hat 48 Stunden. Ich habe ein solides Selbstmanagement und ein verlässliches Team – sowohl im Beruf als auch zu Hause. Ich pflege vor allem divergentes statt lineares Denken, das hilft bei kreativen Problemlösungen und kann mittlerweile natürlich viel aus der langen Erfahrung, also mit weniger Zeitaufwand tun. Alles in allem sollte man einfach tun, was einem Spaß macht, und das tut es.“
Großereignisse wie Festivals, Tagungen, Workshops werden in den kommenden Monaten erst mal vom Tisch sein. Wie macht sie Künstlerinnen und Künstlern Mut in dieser schweren Zeit und wie sind die Aussichten ihrer Meinung nach? Andrea Rothaug dazu: „Momentan haben wir ja quasi Berufsverbot. Die meisten Kulturschaffenden sind existenziell gefährdet, die Soloselbständigen werden zu Sozialfällen. Für das Land der ‚Dichterinnen und Denker‘ ein ziemliches Armutszeugnis. Wir raten Musikerinnen und Musiker, sich gut zu informieren, wo es Hilfe gibt, sich beraten zu lassen, und statt zu verzweifeln, was viele tun, neue Wege zu gehen, auch digital Experimente zu wagen, sich digital zu positionieren, und die eigene Einkommenssituation zu überprüfen. Heute darf es noch wackeln und ruckeln, das ist nicht schlimm. Wir raten, am Ball zu bleiben, kreativ zu bleiben, sich zu vernetzen und das Booking für gestreamte Konzerte zu starten. Gestreamte Formate fallen gerade wie die Äpfel vom Baum. Es ist eine Phase des Experiments: Wir haben in Turbogeschwindigkeit digitale Konzerte und anderes auf die Beine gestellt, doch Monetarisierung war nicht in Sicht. Wohnzimmerkonzerte, digitale Konzertsäle, doch keine Gagen. Dafür müssen wir jetzt zusammen mit den Verbänden, der Politik und den Venues Lösungen finden.“
Und zum Thema Geschlechtergerechtigkeit wünscht sich Andrea Rothaug gemischte Teams in den Firmen, Organisationen, Instituten, in den Chefetagen: „Mein größter Wunsch wäre natürlich, gar nicht mehr über Gender reden zu müssen. Ich würde mir außerdem wünschen, dass die Strukturen für Musiktreibende, die Musikkultur, die Musikbranche in Deutschland gefestigt und noch bedarfsgerechter gefördert würden, damit die Förderung an den Stellen greift, wo die Not am größten ist.“
Ursula Gaisa ist Redakteurin der neuen musikzeitung.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06|2020