Regula Rapp im Gespräch mit Theresa Brüheim
Die Musikwissenschaftlerin Regula Rapp leitete die vergangenen zehn Jahre die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart. Seit April ist sie Direktorin der Barenboim-Said-Akademie Berlin. Theresa Brüheim spricht mit ihr über den Mangel an Frauen in Führungspositionen in Orchestern in Deutschland.
Frau Rapp, wie ist es um die Geschlechtergerechtigkeit in Führungspositionen in Orchestern in Deutschland bestellt?
Nicht gut. Insgesamt sind Erhebungen zufolge zwar fast 40 Prozent der Musikerinnen und Musiker in deutschen Orchestern weiblich. Es gibt aber jüngere Studien, die zeigen, dass in den berühmten Spitzenorchestern, in denen gut verdient wird, deutlich weniger Frauen an den ersten Pulten musizieren als in den weniger renommierten Orchestern, die schlechter bezahlen. Da ist von Gerechtigkeit also keine Rede!
Insbesondere in Deutschland gibt es nur wenige Generalmusikdirektorinnen. Worin liegt dies begründet?
Tatsächlich sind es verschwindend wenige im Vergleich zur Anzahl von Frauen in Führungspositionen sämtlicher anderer Berufssparten. Der erste Grund ist: Es fehlen Vorbilder. Dirigentinnen sind die absolute Ausnahme! Und das hat zweitens etwas zu tun mit dem harten traditionellen Wettbewerb in der Musik: Im Grunde findet dort die Profi-Ausbildung ja immer noch so statt wie im 19. Jahrhundert, als die ersten Konservatorien gegründet wurden, nämlich als Einzelunterricht beim Professor. Und wenn wenig Studentinnen antreten bei diesem Wettbewerb, dann kommen auch wenige durch.
Wird sich diese Situation bald ändern?
Zur Situation der fehlenden Vorbilder muss man wissen, dass es im Jahr 2021 laut einer an der Universität der Künste Berlin entstandenen Zählung keine einzige Professorin für Orchesterdirigieren an einer deutschen Musikhochschule gab – und nur fünf Professorinnen für Chordirigieren. Ich möchte behaupten, dass heutzutage kein Dirigierprofessor mehr absichtlich junge Dirigentinnen vernachlässigen würde – so wie sich auch in den Instrumentalfächern oder im Gesang niemand mehr erlauben würde, Frauen eine Karriere abzusprechen, das ist tatsächlich vorbei –, aber in diesem speziellen Fall braucht es eine aktive Förderung. Das „Instrument“ der Dirigentin, das Orchester, ist schwieriger zu beschaffen und sehr viel teurer als eine Geige oder ein Fagott. Der inzwischen an den meisten Musikhochschulen etablierte Career Service sollte Hand in Hand mit den Hauptfach-Professorinnen und -Professoren ein spezielles Programm entwickeln. Dabei geht es natürlich um die Qualität, besonders aber um die Quantität, die Regelmäßigkeit von solchen Maßnahmen.
Zehn Jahre waren Sie Rektorin an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart. Was haben Sie in dieser Zeit für die Förderung von Frauen in Führung in Orchestern getan?
An Hochschulen entstehen Spielräume, wenn Professuren frei werden. Dazu ist wichtig zu beachten, dass fast alle künstlerischen Professorinnen und Professoren an Musikhochschulen neben ihrer Lehrtätigkeit weiter konzertieren, um künstlerisch weiterzuwachsen und den Zugang zum „Markt“ zu halten: Viele erste Engagements der Jungen werden von den Dozierenden vermittelt. Die erfolgreichen, von Studierenden gesuchten Professorinnen und Professoren sind in der Regel also die, die auch außerhalb der Hochschule ihre Karriere weitertreiben. Als der Professor für Hauptfach Dirigieren die Stuttgarter Hochschule in Richtung einer anderen verließ, wurde die Professur nachbesetzt. Gesucht wurde eine Dirigentin oder ein Dirigent mit internationaler Karriere und Lehrerfahrung auf Hochschulniveau. Ich habe mich damals zusammen mit Kolleginnen sehr darum bemüht, Bewerberinnen zu finden. Die interessante Antwort der zumeist jüngeren Dirigentinnen war, dass sie es sich zu ihrem Bedauern – buchstäblich – „nicht leisten können“, eine Professur anzutreten, da sie erst mal auf dem Markt erfolgreich sein und Erfahrungen sammeln müssen. Und da es auf dem „Dirigiermarkt“ besonders schwer ist, hatten wir am Ende wieder nahezu ausschließlich Bewerbungen von Männern … so krass habe ich das in keinem anderen Fach erlebt.
Regula Rapp ist Rektorin der Barenboim-Said Akademie Berlin. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
Dieser Text ist Teil des Dossiers „Frauen in Führung“. Die einzelnen Beiträge des Dossiers werden durch Illustrationen prägender Frauen aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart begleitet.