Ein Porträt der Journalistin Ferdos Forudastan
Andreas Kolb
Wolfgang Prosinger, ehemals Chef der Seite 3 bei der Badischen Zeitung in Freiburg und Ferdos Forudastans Mentor, sprach gegenüber der jungen Kollegin Klartext: „Ich kann dir sagen, was du eher nicht studieren solltest: nicht Deutsch, nicht Literaturwissenschaft, nicht Geschichte, nicht Soziologie, nicht Politik, nicht Journalistik.“ Also genau die Fachgebiete, für die sich Ferdos Forudastan nach ihrem Abitur in Villingen brennend interessierte. Er riet ihr zu einer Naturwissenschaft, zu Volkswirtschaft oder zu Jura als „Türöffner“ in den Journalismus.
Das war Anfang der 1980er Jahre. Damals gab es einen regelrechten Run auf journalistische Berufe, die Konkurrenz unter den Boomer-Jahrgängen war groß. Ferdos Forudastan nahm den Rat Prosingers an, studierte Rechts- und Politische Wissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg und startete dann eine ziemlich facettenreiche Journalistinnenkarriere. Geboren 1960 in Freiburg in eine deutsch-iranische Familie, zog Ferdos Forudastan im Alter von sechs Jahren mit den Eltern nach St. Gallen, als diese dort ihre Facharztausbildung machten. Nach der Grundschule in der Schweiz ging es in das Heimatland des Vaters, nach Isfahan in Iran. Dort besuchte Ferdos eine persisch-französischsprachige Schule bis zum Alter von 14. Nach einem Zwischenstopp in Deutschland zog die Familie 1975 nach Teheran, und als die Tochter 18 wurde, wanderte sie endgültig nach Deutschland aus, einige Zeit später kamen die Mutter und der jüngere Bruder nach, anschließend auch der Vater. Ferdos Forudastan machte ihren Schulabschluss in Villingen, wo die Mutter eine Arztpraxis eröffnet hatte.
„Ich empfinde mich auch heute noch als ‘zweiheimisch’“, sagt Forudastan. „Ich habe den sehr viel größeren Teil meines Lebens in Deutschland als im Iran verbracht, aber trotzdem ist natürlich das Alter zwischen neun und 18 prägend. Wir haben dort in einer Großfamilie zusammengewohnt, und ich erlebte den familiären Zusammenhalt immer als sehr stark. Ich durfte unter vielem anderen erfahren, wie überwältigend Gastfreundschaft sein kann und wie wichtig die Stellung des Gastes ist.“ In Anbetracht der aktuellen politischen Situation kann sie sich bis auf Weiteres nicht vorstellen, wieder im Iran zu leben. Aber eine zweite, eine innere Heimat ist das Land für sie geblieben: „Das hängt auch mit der Sprache zusammen. Früher habe ich Deutsch und Farsi gleich gut gesprochen. Da ich aber seit vielen Jahrzehnten überwiegend Deutsch spreche und schreibe, ist mein Deutsch nun besser. Trotzdem hat die Sprache viel mit dem Gefühl von Zweiheimischsein zu tun. Viele Dinge tue ich auch auf Farsi: zählen, träumen, fluchen.“
Auch wenn ihr Vater es sehr gerne gesehen hätte, wenn sie Ärztin geworden wäre, waren andere Neigungen prägend für ihren Berufswunsch. „Ich war das, was man eine Leseratte nennt, und hatte auch immer Spaß daran, mich mit den Mitteln der Sprache auszudrücken.“ Zudem kam Forudastan aus einem politischen Elternhaus und war auch selbst früh politisch interessiert. Ihr Vater war zu Zeiten der Schah-Diktatur in der kommunistischen Partei und musste ins Gefängnis. Als er freikam, durfte er im Iran nicht mehr weiterstudieren und begann ein Studium in Deutschland, wo er seine Frau kennenlernte.
„Welche massive Rolle Politik oder eine Staats- oder Regierungsform bis tief ins Privatleben hinein spielen kann, das habe auch ich noch persönlich erlebt“, erinnert sich Ferdos Forudastan. „Das ist etwas, das zu einer Sozialisierung beiträgt.“ Sie sei oft ermahnt worden: „‘Rede ja nicht in der Öffentlichkeit über den Schah’, ‘Sag ja nichts Kritisches’, ‘Mach ja keine Witze über Politik – weder im Taxi, im Bus, wo andere Menschen sind, nicht mal in deinem Freundeskreis.’ Das konnte richtig gefährlich werden. Leute sind verschwunden. Leute sind ins Foltergefängnis gekommen.“
Nach dem Studium arbeitete Ferdos Forudastan von 1989 an als Hauptstadtkorrespondentin der „taz“ und ab 1991 für die „Frankfurter Rundschau“ in Bonn. Sie erlebte in dieser Zeit den politischen Umbruch beider deutscher Staaten. Sie schrieb über die Innen- und Rechtspolitik, die Themen Asyl und Migration, die Unionsparteien oder das Schicksal von NS-Zwangsarbeitern.
Als die beiden ersten ihrer drei Kinder noch sehr klein waren, siedelte das Parlamentsbüro der „Frankfurter Rundschau“ nach Berlin um. Zwischen dort und dem Rheinland, wo Forudastans Mann beruflich gebunden war, wollte die Familie nicht pendeln. Also ließ sich die Redakteurin bei der „Frankfurter Rundschau“ beurlauben und arbeitete als freie Autorin und Moderatorin für den WDR und den Deutschlandfunk. Als feste Freie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, als Moderatorin, Kommentatorin und Dozentin war sie gut im Geschäft. Mit der attraktiven Anfrage, die dann kam, hatte sie nicht gerechnet: Bundespräsident Joachim Gauck wollte sie als seine Sprecherin und Leiterin der Stabsstelle Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Bundespräsidialamt.
Damals war sie 51, und sie erinnert sich daran, wie ihr nach dem Gespräch mit Gauck zumute war: eine total spannende Herausforderung und ein Privileg, die Sache von der anderen Seite sehen zu können. Forudastan verstand sich auf Anhieb mit dem Bundespräsidenten, die berühmte Chemie stimmte. „Wir waren politisch nicht immer einer Meinung, das hat er manchmal auch scherzhaft angemerkt, auch in seiner Abschiedsrede auf mich, aber wir konnten uns immer sehr gut verständigen und gut miteinander diskutieren. Gauck ist jemand, der die Toleranz, die er in Büchern, Aufsätzen und Reden fordert, tatsächlich auch lebt. Er will nicht, dass man ihm nach dem Munde redet, sondern er will wissen, warum jemand etwas anders sieht als er.“
Erstaunlich an dieser Erfolgsgeschichte ist auch die Tatsache, dass sie nach fünf Gauck-Jahren einfach weiterging. Nach dem einen Traumjob kam der nächste: In Nachfolge von Heribert Prantl übernahm Forudastan die Leitung des Ressorts Innenpolitik der „Süddeutschen Zeitung“. Von der PR-Arbeit wieder in den Journalismus zurück? War das nicht schwierig? „Ich habe damit gerechnet, aber es war nicht so. Für die Pressesprecherin des Bundespräsidenten gilt: Eine Person steht vorne, und das ist der Bundespräsident. Ich habe in den fünf Jahren, so gut es ging, darauf geachtet, dass ich keine für die breite Öffentlichkeit wahrnehmbare Rolle spiele, dass ich z. B. keine Interviews gebe oder nicht an Podiumsdiskussionen teilnehme.“
Seit 2020 hat Ferdos Forudastan wieder einen neuen Hut auf: Sie ist Geschäftsführerin der gemeinnützigen CIVIS Medienstiftung in Köln, wo auch ihre Familie lebt. „Mich hat das Anliegen der Stiftung überzeugt, die Rolle und die große Bedeutung der Medien für den Themenbereich kulturelle Vielfalt, Migration und Integration zu beleuchten. Ehrlich gesagt habe ich das Glück gehabt, dass ich von jeder beruflichen Station sagen konnte: ‘Für mich passt es jetzt. Da bist du richtig aufgehoben.’“ Das gilt auch für das von ihr geleitete WDR-Europaforum, einer traditionsreichen europapolitischen Konferenz. Das Schlusswort gehört Ferdos Forudastan: „Nie war Europa wertvoller als heute. Und: Dass das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Prägung in der Einwanderungsgesellschaft gut funktioniert, hängt sehr davon ab, ob und wie die Menschen sich gegenseitig sehen. Dabei spielen Medien eine eminent wichtige Rolle.“
Andreas Kolb ist Redakteur von Politik & Kultur
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 4|23.