Kristina Lunz im Gespräch mit Theresa Brüheim
Was will feministische Außenpolitik erreichen? Wie viele Frauen in Führung gibt es in diesem Politikfeld? Und wie führt man ein Team, das sich täglich mit außenpolitischen Krisen, Kriegen, Konflikten und Menschenrechtsangriffen auseinandersetzt? Im Gespräch mit Theresa Brüheim gibt die Gründerin des Centre for Feminist Foreign Policy, Kristina Lunz, Antworten auf diese Fragen und mehr.
Was ist feministische Außenpolitik?
Feministische Außenpolitik ist ein Ansatz, der über hundert Jahre alt ist und der Außen- und Sicherheitspolitik auf den Kopf stellen möchte. Es geht darum, weg von dem traditionellen machtpolitischen Denken zu kommen, das nationale und militärische Sicherheit an die Spitze stellt, hin zu einem Ansatz, der menschliche Sicherheit, Menschenrechte, Diplomatie und zivile Krisenprävention an erste Stelle setzt. Feministische Außenpolitik geht gegen jegliche patriarchalen Strukturen in Außen- und Sicherheitspolitik vor. Denn die Gewaltbereitschaft eines Landes – sowohl nach innen als auch nach außen – ist abhängig vom Niveau der Gleichberechtigung im Land selbst. Solange es patriarchale, gewaltvolle Strukturen gibt, die die Unterdrückung von Frauen und strukturelle Gewalt gegenüber politischen Minderheiten befördern, kann es niemals zu nachhaltigem Frieden kommen.
Einige Unterschiede zwischen feministischer und patriarchaler Außenpolitik wurden schon deutlich. Welche weiteren gibt es?
Traditionelle Außenpolitik basiert auf der Denkschule des sogenannten Realismus. Die sagt aus, dass alle Staaten in Anarchie zueinanderstehen, weil es keine supranationale Regierung gibt. Wenn Staaten in Anarchie zueinanderstehen, will jeder Staat relativ mächtiger sein als der andere. Diese Macht erhält man durch militärisches Aufrüsten, Imperialismus, Unterdrückung, Kriege usw. Dieses Denken hält uns seit Jahrhunderten in gewaltvollen Situationen und Gesellschaften.
Feministisches Vorgehen in der Außen- und Sicherheitspolitik hingegen meint, dass militärisch aufgerüstete Länder weder mittel- noch langfristig Sicherheit befördern, sondern sie sind der Grund für Unsicherheit. Je aufgerüsteter Staaten sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass immer wieder Konflikte und Kriege ausbrechen. Feministische Außenpolitik sagt, dass militärische Sicherheit nichts mit menschlicher Sicherheit zu tun hat. Um menschliche Sicherheit zu gewährleisten, bedarf es des Schutzes und der Verteidigung der Menschenrechte, der globalen Gesundheitsversorgung, der Ernährungssicherheit und der Umwelt. Es muss ein Klima geschaffen werden, in dem man frei von dieser kontinuierlichen Gewalt leben kann.
Mit Annalena Baerbock hat Deutschland erstmalig eine Außenministerin. Auch im Koalitionsvertrag ist „Feminist Foreign Policy“ in einem Paragrafen festgeschrieben. Welchen Weg hat Deutschland trotz dieser ersten Bemühungen hin zu einer feministischen Außenpolitik noch zu gehen?
Deutschland hat noch ganz schön viel zu tun. Die Bundesrepublik ist weltweit der viertgrößte Waffenexporteur. Deutschland trägt so durch die Bereitstellung von Waffen in großem Maße zu internationaler Unsicherheit und Gewalt bei. Jährlich gibt Deutschland viel mehr Geld für Verteidigung und Aufrüstung als für menschliche Sicherheit aus. Es könnte viel mehr Geld für die feministische Zivilgesellschaft und die Verteidigung von LGBTQIA- und Frauenrechten ausgegeben werden, die seit Jahren massiv angegriffen werden. Deutschland sollte sich viel stärker für abrüstungspolitische Themen einsetzen – so z. B. auch für die Ratifizierung des Atomwaffenverbotsvertrages, wenn wir denn wirklich zu einer Welt ohne Atomwaffen kommen wollen. Die Bundesrepublik sollte ein striktes Rüstungsexportkontrollgesetz durchsetzen und die zunehmende Militarisierung des Cyberraumes besser im Blick haben.
Deutschland kann und muss da noch richtig viel machen. Ein Anfang wäre auch die Machtverteilung im Auswärtigen Amt. Mit Annalena Baerbock steht zum ersten Mal eine Frau an der Spitze – aber eben erstmalig in der langen 151-jährigen Geschichte des Auswärtigen Amtes. Das allein ist ein Armutszeugnis. Auch bei der Verteilung der weiteren Führungspositionen zwischen den Geschlechtern steht das Auswärtige Amt im interministeriellen Vergleich ganz hinten. Die Hausaufgabenliste für gerechtere Außenpolitik ist lang.
Sie sind Mitgründerin des Centre for Feminist Foreign Policy. Was ist das Anliegen Ihrer Arbeit?
Wir sind ein sogenanntes Sozialunternehmen: Vor vier Jahren haben wir eine gemeinnützige GmbH gegründet. Heute sind wir ein Team von zehn Leuten in Berlin. Wir produzieren zum einen Wissen, zum anderen beraten wir. Dabei pushen wir unsere Themen und Agenda zur Außen- und Sicherheitspolitik. Konkret arbeiten wir an sechs Hauptthemenfeldern: Menschenrechte – konkret die Verteidigung von LGBTQIA- und Frauenrechten, Abrüstung, Klimagerechtigkeit, Antirassismus und dekolonialisierte Außenpolitik, feministische Entwicklungspolitik und feministische Außenpolitik. Wir setzen konkrete Projekte um, unter anderem finanziert von Regierungen, aber auch von Stiftungen, z. B. zur Erforschung der internationalen antifeministischen Bewegung. Außerdem arbeiten wir gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen beispielsweise zum Atomwaffenverbotsvertrag oder zur zunehmenden Militarisierung des Cyberspace.
Sie sind nicht nur Mitgründerin, sondern auch Co-CEO. Was ist Ihnen in dieser Führungsposition wichtig? Was möchten Sie konkret umsetzen – im Hinblick auf das Thema feministische Außenpolitik und auch auf das Thema Führung im Unternehmen?
Zum einen will ich einen wirklichen Paradigmenwechsel in der Außen- und Sicherheitspolitik schaffen. Aus dem einfachen Grund heraus, dass die Welt seit einigen hundert Jahren nach einem bestimmten Mindset regiert wird, das nicht funktioniert. Ständig gibt es Kriege, Ausbeutung, Menschenrechtsverletzungen. Wir brauchen dringend bessere Lösungen, um eine Zukunft zu gestalten, die endlich für die globale Mehrheit funktioniert. Das sind die Ziele feministischer Außenpolitik in meiner Organisation. Im Februar ist auch mein Buch „Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch“ dazu erschienen.
Zum anderen legen meine Mitgeschäftsführerin Nina Bernarding und ich in der Unternehmenskultur sehr viel Wert auf professionelle inhaltliche Exzellenz, nach der wir auch das Team zusammenstellen. Besonders wichtig ist uns auch „Kindness“. Ich nutze bewusst das englische Wort. Im Deutschen haben wir kein Wort, das diese wunderschöne Mischung aus Freundlichkeit, Güte, Warmherzigkeit und Unterstützung so ausdrückt. Wir setzen uns jeden Tag mit Kriegen, Konflikten, Vergewaltigungen als Kriegswaffe, Umweltzerstörung, Menschenrechtsangriffen und anderem auseinander. Wenn wir dann unserem Team nicht eine von Kindness geprägte Unternehmenskultur anbieten könnten, wäre es eine Organisation, in der ich nicht arbeiten wollen würde.
Sie kommen aus einer Arbeiterfamilie, haben als Erste in der Familie studiert – in Oxford, London und Stanford. Auch vor diesem Hintergrund: Was ist für Sie als weibliche Führungskraft besonders wichtig?
Für mich waren Klassismus und Sexismus die größten Hürden für beruflichen Erfolg. Bei anderen spielt Queerfeindlichkeit oder Rassismus eine Rolle. Deutschland muss endlich eine bildungsgerechte Gesellschaft schaffen. Bisher entscheiden vor allem der Bildungshintergrund und das Einkommen der Eltern über den Bildungserfolg der Kinder. Und natürlich werden in unserer Gesellschaft seit über 4.000 bis 6.000 Jahren Macht, Positionen, Ressourcen von Männerhand an Männerhand weitergegeben. Wir müssen uns in Deutschland die Frage stellen – ich zitiere eine Studie der Harvard Business Review – „Why do so many incompetent men become leaders?“. Es wird für Führungspositionen nicht nach Kompetenz rekrutiert, sondern in der Regel nach dem Geschlecht. Deshalb haben Männer seit Hunderten von Jahren ungerechtfertigte Privilegien. Und wir haben so in der Masse eben nicht die kompetentesten Menschen an der Spitze. Das hat gesellschaftliche Auswirkungen: Zig Studien von McKinsey, BCG usw. zeigen dies. Unfaire Machtverteilung zwischen den Geschlechtern hat negative Auswirkungen für eine Gesellschaft bezüglich der Gelderwirtschaftung, der Gründung und Führung von Unternehmen und Organisationen, der Bedürfnisanerkennung und mehr. Wir haben nur 14 Prozent Gründerinnen in diesem Land. Fast alle Gelder gehen an Gründer – und nur sehr wenige an Gründerinnen. Diese Betonwände kennen alle Frauen, die in Führungspositionen arbeiten. Und auch viele, die noch nicht dort arbeiten, weil sie davon abgehalten werden.
Wie können Frauen in Führung unterstützt werden? Was fordern Sie auch von der Politik, der Gesellschaft oder auch von anderen Organisationen?
Geldgeber müssen aufhören, fast das ganze Geld an Gründer zu geben, sondern endlich auch Gründerinnen und feministische Arbeit unterstützen. Von der OECD erhobene Zahlen zeigen, dass in den letzten Jahren zwar die Förderung von Gleichberechtigung und anderen feministischen Themen durch internationale Gelder zugenommen haben, aber die feministische Zivilgesellschaft – also Grass-Roots-Arbeit, wie wir sie betreiben – davon nur ein Prozent bekommt. Der Großteil des Geldes geht an die großen UN-Agenturen.
Wir müssen wegkommen von einer Kultur, in der wir es als normal empfinden, dass Gewinne privatisiert werden und Individuen zugutekommen, aber Kosten und Probleme kollektiviert werden. Das heißt, um Umweltverschmutzung oder Menschenrechtsverletzungen kümmern wir uns alle oder auch keiner wirklich – wenn wir Glück haben, befassen sich damit NGOs, deren Mitarbeitende in der Konsequenz unterbezahlt und ausgebrannt sind. Davon müssen wir wegkommen, auch um die Arbeit der Zivilgesellschaft mehr aufzuwerten. Ich habe hier ein Team der schlauesten Köpfe sitzen, die mit Handkuss in Top-Privatunternehmen genommen wurden und werden, aber sie haben sich dafür entschieden, ihre Exzellenz in eine Arbeit zu stecken, die uns als Gesellschaft zugutekommt – und zwar für einen Bruchteil des Gehaltes, das sie im Privatsektor verdienen könnten. Das verdient so viel Wertschätzung, aber zivilgesellschaftliche Arbeit bekommt diese einfach nicht.
Kristina Lunz ist Mitbegründerin, Co-CEO des Centre for Feminist Foreign Policy und Autorin des Buches „Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch“ (Ullstein 2022). Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
Dieser Text ist Teil des Dossiers „Frauen in Führung“. Die einzelnen Beiträge des Dossiers werden durch Illustrationen prägender Frauen aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart begleitet.