Ute Klammer
Fast drei von zehn Führungspositionen in Deutschland waren 2021 mit Frauen besetzt. Ein Erfolg? Obwohl sich in den letzten Jahren einiges getan hat, kann dieser Befund beim Blick auf Vergleichszahlen nicht zufriedenstellen. Das zeigt zum einen der Blick auf den Zeitverlauf: So hat sich der Anteil der Frauen in Führungspositionen in der vergangenen Dekade nicht gesteigert: 2021 – und 2020 – lag er bereits bei gut 30 Prozent. Erst recht zeigt aber der europäische Vergleich, dass Deutschland hier klar unter dem EU-Durchschnitt positioniert ist und nach wie vor ein Schlusslicht darstellt. Nur drei EU-Länder weisen nach Zahlen von Eurostat aktuell einen geringeren Anteil von Frauen in Führungspositionen auf als Deutschland.
Führungsposition ist zudem nicht gleich Führungsposition. Frauen führen vor allem in Bereichen, in denen ohnehin der Anteil von Frauen hoch ist – z. B. als Leiterin einer Kinderbetreuungseinrichtung, einer Grundschule oder eines Pflegedienstes. Das sind gesellschaftlich wichtige Aufgaben. Es sind aber nicht die Führungspositionen, die durch Geld, Macht und Einfluss gekennzeichnet sind. In den Vorständen der Top 200-Unternehmen in Deutschland beschränkt sich der Frauenanteil weiterhin auf magere 14,7 Prozent. Offensichtlich stoßen Frauen hier nach wie vor häufig an die „gläserne Decke“, die immer wieder im Zusammenhang mit der vertikalen Segregation im Erwerbsleben als Hindernis für Frauen identifiziert worden ist.
Anlass für gesellschaftspolitischen Handlungsbedarf? Die gesetzlichen Grundlagen
Debatten zu Gendergerechtigkeit, Chancengleichheit und Diversität in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft haben im öffentlichen Diskurs zunehmend Aufmerksamkeit erhalten. Forderungen von Frauen nach gleicher Entlohnung bei gleichwertiger Arbeit, politischer Repräsentation in Parlamenten sowie dem „Fair Share“ in Managementpositionen und Aufsichtsräten haben entscheidende, auch rechtliche, Veränderungen veranlasst. Was beinhalten die gesetzlichen Grundlagen zu Frauen in Führungspositionen – und welche Wirkung haben sie bisher gezeigt?
Das Erste Führungspositionengesetz (FüPoG I), in Kraft seit 2015, regelt eine verpflichtende Frauenquote von 30 Prozent in Aufsichtsräten von Unternehmen, die börsennotiert sind und gleichzeitig der gesetzlichen Mitbestimmung unterliegen. Dies gilt sowohl für die Privatwirtschaft als auch den öffentlichen Sektor. Unternehmen, die nur börsennotiert oder mitbestimmt sind, müssen eigene Zielgrößen zur Entwicklung des Frauenanteils in Aufsichtsräten, Vorständen und obersten Managementebenen festlegen. Aktuell sind allerdings nur 106 Unternehmen zur Einhaltung der Quote verpflichtet. Kritik entzündete sich zudem daran, dass Unternehmen hier auch die Zielquote 0 festlegen konnten oder eine Zielquote, die keine Steigerung bedeutete – und dies nicht selten auch taten.
Das Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG) und das Bundesgremienbesetzungsgesetz (BGremBG) legen einen erhöhten Anteil von Frauen im öffentlichen Dienst fest. Seit 2016 gilt bei der Besetzung von Aufsichtsratsgremien, in denen dem Bund mindestens drei Sitze zustehen, eine Geschlechterquote von mindestens 30 Prozent für alle Neubesetzungen.
Das Zweite Führungspositionengesetz (FüPoG II), in Kraft seit August 2021, weitete die Vorgaben für mehr Geschlechtergerechtigkeit in Vorständen und Aufsichtsräten für große Unternehmen und bestimmte Spitzenpositionen im öffentlichen Dienst aus. Das darin verankerte Mindestbeteiligungsgebot regelt, dass ein mehr als dreiköpfiger Vorstand eines börsennotierten und zugleich paritätisch mitbestimmten Unternehmens mit mehr als 2.000 Beschäftigten in Zukunft mit mindestens einer Frau und mindestens einem Mann zu besetzen ist. Als Erweiterung zu FüPoG I wurden weitere Sanktionsmechanismen und Bußgelder bei Nichteinhaltung der Regelungen festgeschrieben.
Wie wirksam sind Quotenregelungen?
Quotenregelungen werden immer wieder hitzig debattiert. Grundsätzlich haben sich die verabschiedeten Regelungen und Gesetze aber als wirksame Instrumente im Hinblick auf die Erhöhung von Frauenanteilen erwiesen. So ist seit Einführung des FüPoG I der Frauenanteil in den Aufsichtsräten der Top 200 Unternehmen in Deutschland auf 30,4 Prozent gestiegen. Der Anteil von DAX-30-Unternehmen mit 30 Prozent Frauenanteil in Aufsichtsräten lag 2019 bei 93,1 Prozent. Zwar hatten auch im April 2022 dem Women-on-Board Index zufolge 14 der 185 beobachteten Unternehmen keine einzige Frau im Aufsichtsrat, der überwiegende Teil der Unternehmen, die an die Regelungen des FüPoG I gebunden sind, erfüllt aber seine gesetzliche Pflicht. Der Frauenanteil in Vorständen hat sich seit Einführung der gesetzlichen Vorgaben sogar vervierfacht, wenn er auch absolut betrachtet, immer noch auf niedrigem Niveau liegt.
Auch international hat die Implementierung von Quotenregelungen in Aufsichtsräten die Repräsentation von Frauen erhöht. So waren im Jahr 2016 lediglich 16 Prozent der Aufsichtsräte in OECD-Ländern Frauen, in Norwegen waren es unter Quotenregelung hingegen 40 Prozent. Bis zu paritätisch besetzten Vorstands- und Aufsichtsratsgremien ist es gleichwohl noch ein weiter Weg.
Die bestehenden Gesetze und politischen Maßnahmen zielen vor allem auf große Unternehmen und Institutionen ab. Für börsennotierte oder mitbestimmte Unternehmen, die nicht unter die Regelungen fallen, gilt lediglich eine Pflicht zur Darlegung, warum der Vorstand ohne oder mit zu wenig Frauen besetzt ist. Alle nichtbörsennotierten oder mitbestimmten Unternehmen unterliegen keinen Verpflichtungen zu Paritätsbestrebungen. Für künftige Gesetzesinitiativen wird daher eine Ausweitung der Reichweite der bisherigen Maßnahmen gefordert. Rückenwind für Geschlechterquoten könnte auch aus der EU kommen, insofern EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen die EU-weite Frauenquote für Aufsichtsräte wiederbeleben will, die vor zehn Jahren scheiterte.
Führen Frauen anders?
Aber (warum) sollte die Politik sich überhaupt in die Besetzung von Führungspositionen einmischen? Als Chance für veränderte Unternehmens- und Führungskulturen und Begründung für Instrumente zur paritätischen Repräsentation von Frauen wird vielfach ein unterschiedlicher Führungsstil von Frauen und Männern angeführt. Gibt es tatsächlich so etwas wie einen „weiblichen“ bzw. „männlichen“ Führungsstil?
Differenztheoretische Ansätze begründen die fehlende Repräsentation von Frauen in Führungspositionen unter anderem mit geschlechterspezifischen Unterschieden in Verhalten und Persönlichkeit. Frauen seien demnach weniger karriereorientiert und offensiv, betrieben weniger Selbstvermarktung und seien im Vergleich zu Männern passiver in Konkurrenz- und Wettbewerbssituationen sowie Gehaltsverhandlungen. Der vermeintlich „weibliche“ Führungsstil basiert auf geschlechterstereotypischen Erwartungen an die weibliche Führungskraft: Einer Frau werden vor allem Eigenschaften wie Empathie, Kompromissbereitschaft, Teamorientierung und die Bevorzugung eines nicht-hierarchischen Führungsstils zugeschrieben. Im Gegensatz zu Eigenschaften, die mit Männern assoziiert werden wie Entscheidungsstärke, Durchsetzungsvermögen und Risikobereitschaft, werden die weiblich konnotierten jedoch negativ bewertet oder gar sanktioniert. Auch können Adaptionsstrategien an vermeintlich „männliche“ Führungskulturen Frauen wiederum negativ ausgelegt werden. So wird darauf verwiesen, dass offensives Verhalten im Rahmen von Gehaltsverhandlungen Frauen schneller als aggressiv und negativ angelastet wird, wohingegen Männer als proaktiv und entscheidungsstark wahrgenommen werden.
Die Theorie eines „weiblichen“ Führungsstils untermauern auch populärwissenschaftliche Phänomene wie das sogenannte „Hochstapler-Syndrom“, das meist Frauen zugeschrieben wird. Es beschreibt ein Gefühl der massiven Selbstzweifel hinsichtlich der beruflichen Leistung, bei dem die betroffene Person trotz nachgewiesener Befähigung unter einer permanenten Angst leidet, ihre Inkompetenz könne auffliegen. Inwieweit ein nachweisbarer Zusammenhang zum „weiblichen“ Führungsstil oder zur Repräsentation von Frauen in Führungspositionen hergestellt werden kann, bleibt jedoch fraglich.
Entgegen populärwissenschaftlichen und differenztheoretischen Annahmen belegt eine Studie der Universität Kassel, dass die Kategorisierung des Führungsstils in „männliche“ und „weibliche“ Kompetenzen empirisch nicht nachweisbar ist. Die Komplexität von Führungsstilen, Unternehmenskulturen, Persönlichkeitsmerkmalen und persönlichen Hintergründen von Führungskräften reiche weit über die dichotome geschlechterspezifische Einteilung hinaus. Im Gegensatz dazu wird ein Dekonstruktionsansatz vorgeschlagen, der versucht, Vorurteile abzubauen und gleichzeitig sichtbar macht, wie Frauen und Minderheiten strukturell diskriminiert werden, in dem sie an die gläserne Decke stoßen oder zum „Token“ gemacht werden. „Token“ beschreibt dabei eine Minderheit in einer Gruppe, deren Andersartigkeit von dieser wahrgenommen und kontinuierlich kenntlich gemacht wird.
Für Frauen bedeutet das, in einem mehrheitlich männlichen Umfeld in erster Linie nicht als Individuum, sondern als Vertreterin ihres Geschlechts wahrgenommen zu werden. So wird das Differenzmerkmal Geschlecht (neben anderen) als primärer Marker betont anstelle von individuellen Leistungen und Qualitäten. Die Mehrheitsgruppe hebt die Andersartigkeit der Minderheitengruppe hervor, die sich wiederum entweder anpassen oder die Außenseiterrolle akzeptieren muss. Eine Einteilung in den „männlichen“ und den „weiblichen“ Führungsstil beruht somit auf vereinfachenden Annahmen und birgt die Gefahr der Reproduktion tradierter Geschlechterstereotypen, die ihrerseits die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in Führungspositionen untergräbt.
Warum wir mehr Frauen in Führung brauchen – auch in der Kultur
Auf höhere Frauenanteile und paritätische Repräsentation folgen häufig mehr Sensibilität für inklusive Unternehmenskulturen, mehr Diversität, das Aufbrechen sogenannter „Männerclubs“ und das Durchbrechen der gläsernen Decke. Im ökonomischen Sinne argumentiert, führt dies zu nachweislich besseren Team- und Unternehmenserfolgen. Das Hauptargument für Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen sollte jedoch der Anspruch aller Geschlechter sein, die eigenen Talente gleichberechtigt entfalten und auch in leitende Funktionen einbringen zu können. Dies gilt auch für die Kultur, wo bestimmte Leitungspositionen wie die des Dirigenten, des „Maestro“, in der Vergangenheit fest in Männerhand waren, wie Anke Steinbeck 2010 eindrücklich in ihrer Dissertation nachgezeichnet hat. Mit Quoten allein lässt sich der Wandel hier nicht erzwingen. Zwar ist die Zahl erfolgreicher Dirigentinnen in den letzten Jahren deutlich gestiegen und es ist zu hoffen, dass sich die öffentliche Wahrnehmung auf ihre Leistungen fokussiert – und nicht auf ihre Stilettos, wie noch vor zwei Dekaden, als Simone Young Chefdirigentin der Oper in Sydney wurde. Aber erst wenn die Zahl erfolgreicher Dirigentinnen eine kritische Masse erreicht hat und genug weibliche Vorbilder da sind, ist mit einem echten Wandel zu rechnen. Das Mentoring-Programm des Deutschen Kulturrates für weibliche Führungskräfte im Kulturbereich kann hierzu einen wichtigen Beitrag leisten.
Ute Klammer ist Direktorin des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) an der Universität Duisburg-Essen und des Deutschen Instituts für Interdisziplinäre Sozialpolitikforschung (DIFIS). Der Beitrag ist unter Mitarbeit von Silvie Haarmann entstanden.
Dieser Text ist Teil des Dossiers „Frauen in Führung“. Die einzelnen Beiträge des Dossiers werden durch Illustrationen prägender Frauen aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart begleitet.