Alexandra Scheele
Frauen sind in Leitungs- und Entscheidungspositionen unterrepräsentiert. Trotz politischer und betrieblicher (Frauenförderungs-)Maßnahmen liegt der Anteil von Frauen in Führungspositionen in nahezu allen wirtschaftlichen Sektoren deutlich unter dem Anteil weiblicher Beschäftigter insgesamt. Dabei zeigen sich über alle Branchen hinweg folgende Muster: Je höher die innerbetriebliche Hierarchiestufe, desto geringer der Frauenanteil; und je größer der Betrieb ist, desto geringer ist der Anteil von Frauen an allen Beschäftigten und auf den verschiedenen Führungsebenen (Kohaut/Möller 2019: 3). Dieses Phänomen der „Gläsernen Decke“, bei dem oberhalb einer gewissen Hierarchiestufe kaum noch Frauen vertreten sind, ist in Deutschland besonders ausgeprägt. Im Jahr 2019 war gemäß Statistischem Bundesamt nur knapp jede dritte Führungskraft eine Frau. Im EU-Vergleich lag Deutschland damit nur im unteren Drittel. Eine Ursache für diese Ungleichverteilung liegt bereits in der unterschiedlichen Berufswahl von Frauen und Männern. So belegt beispielsweise die Studie zu „Frauen in Kultur und Medien“ des Deutschen Kulturrates von 2016 die stark ausgeprägte Geschlechtersegregation in Kulturberufen. Es handelt sich um die horizontale Segregation, also die Verteilung von Frauen und Männer auf unterschiedliche Berufe – z. B. Frauen in Medien-, Dokumentations- und Informationsdiensten, Buch-, Kunst-, Antiquitäten- und Musikfachhandel sowie Museumstechnik bzw. Museumsmanagement; hingegen Männer in Moderation und Unterhaltung, Veranstaltungs-, Kamera- und Tontechnik – die jedoch dann auch stark mit der vertikalen Segregation zusammenhängt, da die Perspektive der Übernahme von einer Führungsaufgabe in dem einen Berufsfeld deutlicher ausgeprägt ist als im anderen.
Mit dem 2015 in Kraft getretenen „Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen“ sowie mit dem seit August 2021 geltenden „Zweiten Führungspositionen-Gesetz“ wurden Quotenregelungen bzw. Mindestbeteiligungen von Frauen für Aufsichtsräte und Vorstände für börsennotierte und mitbestimmungspflichtige Unternehmen eingeführt (Ahrens/Scheele 2021). Gleichzeitig wurden das Bundesgremienbesetzungsgesetz sowie das Bundesgleichstellungsgesetz mit dem Ziel novelliert, den Anteil von Frauen in Führungspositionen des öffentlichen Dienstes und in den Gremien des Bundes zu erhöhen. Während diese Maßnahmen in jenen Unternehmen und Organisationen, die unter die gesetzlichen Quotenregelungen fallen, erfolgreich sind, lässt sich darüber hinaus kein eindeutiger Spill-over-Effekt feststellen.
Insofern reicht es sicher nicht aus, darauf zu hoffen, dass sich die Gleichstellung von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt und in den beruflichen Organisationen von selbst herstellt. Auch sollte nicht zu viel Hoffnung auf den demografischen Wandel und den damit einhergehenden und in vielen Wirtschaftszweigen schon feststellbarbaren Mangel an Fach- und Führungskräften gelegt werden.
Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zum Einfluss des demografischen Wandels auf den Arbeitsmarkt in Deutschland kommt zu dem Ergebnis, dass Demografie häufig mit Geburten und Sterbefällen in Verbindung gebracht wird – dass diese jedoch „für die Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials in den nächsten 15 Jahren keine Rolle spielen“ (Klinger/Fuchs 2020: 5). Insofern lohnt es sich, die Frage nach dem Arbeitskräftebedarf und Arbeitskräftepotenzial stärker vom Status quo her zu denken und danach zu fragen, ob es aktuell gelingt, Frauen im Allgemeinen und Migrantinnen im Besonderen besser in den Arbeitsmarkt, auch in den Kultur- und Medienarbeitsmarkt, zu integrieren. Die Voraussetzungen dafür sind vielfältig und berühren – wie auch die angeführte IAB-Studie betont – Veränderungen der institutionellen Rahmenbedingungen in Bezug auf Kinderbetreuung, Familienunterstützung oder Teilzeit sowie die verbesserten Möglichkeiten zum Erwerb von Sprachkenntnissen. Es bedarf aber darüber hinaus auch eines Abbaus von Geschlechterstereotypen bei der Ausbildungs- und Berufswahl. Da die Geschlechtersegregation – horizontal und vertikal – in den Kulturberufen deutlich ausgeprägt ist, bedarf es bereits in der Schule und vor dem Eintritt in die Berufsausbildung – sowohl in die duale Ausbildung als auch ins Studium – umfassender geschlechtersensibler Informationen über Berufsbilder insbesondere auch hinsichtlich der damit verbundenen Entwicklungs- und Einkommensperspektiven.
Um jedoch darüber hinaus das Arbeitskräftepotenzial von Frauen in Kultur und Medien besser zu nutzen, bedarf es eines kulturellen Wandels in den beruflichen Organisationen und Kultureinrichtungen selbst. Als Organisationskultur bezeichnet man allgemein ein Set von Werten, Glaubensvorstellungen und geteilten, grundlegenden Überzeugungen. Sackmann (2002: 27) benutzt das Beispiel eines Eisberges, um deutlich zu machen, dass die wesentlichen Aspekte der Unternehmenskultur nicht sichtbar sind. Über der Wasseroberfläche – um im Bild zu bleiben – und damit sichtbar sind nur einige Artefakte und ein bestimmtes Verhalten, während unter der Wasseroberfläche und damit unsichtbar die grundlegenden Überzeugungen bezüglich Prioritäten, Prozessen, Ursachen und Verbesserungen sind. Diese sind verdeckt, nicht bewusst, basieren auf Erfahrungen, sind zur Gewohnheit geworden und emotional verankert (Scheele 2008: 125). „Kulturen“, und somit auch Organisationskulturen, reproduzieren sich oftmals unsichtbar und hintergründig nach gesellschafts- oder organisationseigenen Regeln, „die weder zu einer höheren Rationalität noch zu mehr Fortschritt führen müssen“ (Pohlmann/Markova 2011: 138). Zugleich findet ein kultureller Wandel nur sehr langsam statt. Entsprechend benötigt es Wissen und Zeit, um Organisationskulturen zu gestalten.
Richten wir das Augenmerk auf Geschlecht – und hier explizit verstanden als intersektionale Kategorie – dann treffen wir vielfach auf eine vergeschlechtlichte Organisationskultur. Verschiedene Untersuchungen (z.B. Scheele et al. 2020) belegen, dass es eben nicht nur unterschiedliche Berufs- und Karriereentscheidungen sind, die zur Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen führen, sondern andere Prozesse und Dynamiken der Geschlechterdifferenzierung in Organisationen wirkmächtig sind und den beruflichen Aufstieg von Frauen erschweren. Dazu gehören „männerbündische Strukturen bzw. von ‚Old Boys Networks'“ (Apelt/Scholz 2014: 300), durch die jene Normen reproduziert werden, die aufgrund der noch immer geschlechtstypisch organisierten familiären Arbeitsteilung sowie geschlechterstereotypen Vorstellungen von Führungswillen und Führungsstärke Frauen ausschließen.
Vor nunmehr 30 Jahren hat die US-amerikanische Soziologin Joan Acker mit dem Begriff der „Gendered Organizations“ gezeigt, wie Organisationen nicht immer explizit, aber dennoch kontinuierlich mit der Kategorie „Geschlecht“ operieren, wenn es darum geht, Positionen zu besetzen – und diesen Prozess dann zugleich wieder als „geschlechtsneutrale“ Entscheidung zu erklären – indem das Alter, das Werk, die Leistung, die Kompetenz, die Internationalität etc. als das entscheidende Kriterium herausgestellt wird. Beispiele dafür sind:
Flexibilitäts- und Mobilitätsanforderungen
Frauen werden häufig damit konfrontiert, dass sie tatsächlich – oder auch nur potenziell – diesen Flexibilitätsanforderungen, insbesondere die Erwartung, Überstunden zu leisten, nicht gerecht werden könnten, da sie familiäre Verpflichtungen zu erfüllen hätten. Bei männlichen Führungskräften wird hingegen mehr oder minder ungefragt davon ausgegangen, dass sie diese aufweisen. Flexibilität und Mobilität sind auch zentrale Anforderungen in Kultur und Medien. Allerdings können und müssen diese so gestaltet werden, dass auch Menschen mit Sorgeverpflichtungen diese erfüllen können.
Führungsverständnis
Think Manager – Think Male: Was wird von einer Führungskraft erwartet? Vielfach das bereits Bekannte: Durchsetzungskraft, „Führungsfähigkeit“, Charisma etc. All das sind Zuschreibungen, die bereits als „typisch männlich“ besetzt sind. Hinzu kommt noch die Vorstellung einer von „Care- und Reproduktionsarbeit“ befreiten Arbeitskraft, die lebenslang rund um die Uhr arbeitet und bei der die Arbeit Lebensmittelpunkt ist und oberste Priorität hat. Das wird automatisch zum Nachteil von Frauen ausgelegt.
Informalität bei der Besetzung von vielen Leitungs- und Führungspositionen
Es zählt der persönliche Kontakt zur „Entscheidungsperson“, wenn die Beförderungen oder das Angebot einer leitenden Position »subjektive Sache« von anderen Vorständen sind. Besetzungen von Führungspositionen folgen hierbei dem Schema der „Passfähigkeit von Bewerber*innen“ entlang sozialer Kategorien, z.B. der Kategorie Geschlecht. Sind Frauen unterrepräsentiert und diese Entscheidungsposition liegt ebenfalls bei einem Mann, tendiert dieser dazu, die „eigenen“ Leute weiterzuentwickeln. Führungspositionen werden häufig entlang des „Similar-to-Me“-Effekts (Rand/Wexley 1975) „vererbt“ – ebenfalls zum Nachteil von Frauen. Hinzu kommt, dass eine tatsächliche oder auch nur imaginierte Erfahrung mit einer Frau oder mehreren Frauen auf die gesamte Gruppe der Frauen übertragen wird. Die Soziologin Rosabeth Moss Kanter hat das 1977 mit dem Konzept des „Tokenism“ beschrieben.
Es wird deutlich, dass Frauen in beruflichen Organisationen weiterhin auf Widerstände stoßen. Sie können Führungspositionen erreichen, aber sie können dies nicht mit derselben Selbstverständlichkeit erwarten, wie es Männern möglich ist. Daraus erwächst weiterhin die Anforderung, sich mit der „Gendered Substructure“ (Acker 2006) von Organisationen auseinanderzusetzen – und darüber hinaus mit der noch immer wirkmächtigen gesellschaftlichen Arbeitsteilung und ihrer geschlechtlichen Fundierung.
Alexandra Scheele ist habilitierte Sozialwissenschaftlerin und Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld. Aktuell forscht sie im Rahmen eines von der Volkswagenstiftung geförderten Projekts zur Care-Krise in der Coronakrise.
Dieser Text ist Teil des Dossiers „Frauen in Führung“.