3 Fragen an Barbara Lison
In Bibliotheken arbeiten überwiegend Frauen – stimmt das heute überhaupt noch? Und wie sieht es dort in den Führungsetagen aus? Seit über 30 Jahren leitet die Bibliothekarin Barbara Lison die Stadtbibliothek Bremen. Im vergangenen Jahr hat sie die Präsidentschaft des Bibliotheksweltverbandes International Federation of Library Associations (IFLA) übernommen. Sie gibt einen Einblick ins Thema Gleichstellung in der deutschen Bibliothekslandschaft – auch im internationalen Vergleich.
1. Wie ist es um die Geschlechtergerechtigkeit in deutschen Bibliotheken bestellt? Und wer nimmt Führungspositionen in Bibliotheken in Deutschland wahr?
Berufe in Bibliotheken sind traditionell und historisch klassische Frauenberufe. Es gilt allerdings zu unterscheiden, ob es sich um einen Bibliotheksberuf in einer wissenschaftlichen Bibliothek handelt oder in einer öffentlichen Bibliothek. Die Geschichte der wissenschaftlichen Bibliotheken ist stark verbunden mit der Entwicklung der Wissenschaften, vor allen Dingen der Geistes- und Sozialwissenschaften. In ähnlicher Art und Weise, wie sich die Proportion von Frauen zu Männern innerhalb dieser akademischen Disziplinen entwickelte, vollzog sich auch in den wissenschaftlichen Bibliotheken ein entsprechender Wandel – vielleicht doch etwas schneller. Bis weit in die 1970er Jahre hinein waren die Positionen des Höheren Bibliotheksdienstes männlich dominiert. Die Stellen im Mittleren und im Gehobenen Bibliotheksdienst hingegen hatten eine höhere Proportion von weiblichen Beschäftigten. Kurz gesagt, die wirklich gut bezahlten und verantwortungsvollen Positionen in den wissenschaftlichen Bibliotheken wurden lange Zeit im Wesentlichen von Männern wahrgenommen. Mit einem erhöhten Anteil von Frauen an der akademischen Ausbildung erhöhte sich auch der Frauenanteil in den Führungspositionen der wissenschaftlichen Bibliotheken. Dass wissenschaftliche Bibliotheken von Direktorinnen geleitet werden, ist hingegen in der Breite erst seit zwei bis drei Jahrzehnten Realität. Inzwischen gibt es keine deutliche Tendenz mehr, bei der Besetzung von Führungs- bzw. Direktionsstellen Männern den Vorzug zu geben. Natürlich hat dies auch etwas mit der mit den Ausschreibungsbedingungen des öffentlichen Dienstes und der Institution der Frauenbeauftragten zu tun, die ja ausdrückliche Bevorzugung von weiblichen Bewerbenden bei gleicher Qualifikation einfordern.
Ein wenig anders sieht es, historisch betrachtet, bei den Führungspositionen in den öffentlichen Bibliotheken aus. Allerdings muss hier ein Unterschied gemacht werden zwischen Bibliotheken in kleineren Orten und Bibliotheken in Großstädten oder gar Metropolen. Als ich 1992 die Direktion der Stadtbibliothek Bremen übernahm und in ein Gremium hineinkam, in dem die Direktorinnen und Direktoren der 20 größten Stadtbibliotheken in Deutschland saßen, waren Frauen in der quantitativen Minderheit. Dies hat sich innerhalb der letzten 30 Jahre so verändert, dass inzwischen eine Selbstverständlichkeit eingetreten ist, zusammenzuarbeiten, ohne einen spezifischen Blick auf geschlechterrelevante Proportionen zu haben.
Insgesamt gesehen, stimmt es weiterhin, dass der Bibliotheksberuf eher ein weiblicher Beruf ist. In den meisten deutschen Bibliotheken – unabhängig, ob wissenschaftlich oder öffentlich – ist ein Frauenanteil von deutlich über 50 Prozent zu finden. Dass dies nicht alles Führungskräfte sind, ist natürlich. Mit der Entwicklung des Bibliotheksberufes im Zusammenhang mit der modernen Kommunikations- und Informationstechnik hat sich allerdings der Anteil männlicher Beschäftigter erhöht. Obwohl auch viele Frauen jetzt in den IT-Abteilungen arbeiten oder digitale Services erfüllen, ist die Dominanz von Männern in den technischen Aufgabenfeldern der Bibliotheken meines Erachtens deutlich zu sehen.
2. Wie ist es hingegen um die Geschlechtergerechtigkeit in der Führungsetage von Bibliotheken in anderen Ländern und auch auf anderen Kontinenten bestellt?
Ein Blick in die internationale Ebene zeigt im Grunde ein sehr ähnliches Bild wie in Deutschland. Hier gilt es, auf Unterschiede in Bezug auf die einzelnen Kontinente und Länder zu achten. In den anglo-sächsisch geprägten Ländern wie USA, Kanada, Australien oder auch Großbritannien haben Frauen schon länger Führungspositionen inne. Das mag auch daran liegen, dass dort der Bibliotheksberuf schon länger als in Deutschland ein akademischer Beruf war und es daher auch möglich war, Frauen in Führungspositionen einzusetzen, die eine akademische Ausbildung erforderten. In den Ländern der Kontinente Lateinamerika, Asien und Afrika sind hingegen die Führungspositionen noch weithin männlich besetzt. Besonders hervorzuhebende Ausnahmen sind hier vor allem Singapur, Malaysia und mehrere Länder in Nordafrika und auf der Arabischen Halbinsel. Auch in den osteuropäischen Ländern sind Führungspositionen noch sehr oft von Männern dominiert. Ich war neulich auf der Konferenz der Direktorinnen und Direktoren der Europäischen Nationalbibliotheken. Hier sah ich, dass z. B. die Führungspositionen in Nationalbibliotheken, gerade in den größeren osteuropäischen Ländern, noch männlich dominiert sind.
3. Wie ist die deutsche Situation dazu vergleichend einzuordnen? Was können deutsche Bibliotheken bezüglich Geschlechtergerechtigkeit aus dem internationalen Vergleich noch lernen?
In Deutschland sind mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und anderen Maßnahmen schon große Schritte in Richtung Geschlechtergerechtigkeit gemacht. Hier scheint mir keine eklatante Dominanz von Männern in den Führungspositionen zu bestehen. Im internationalen Vergleich sind wir, insgesamt betrachtet, gut aufgestellt. Außerdem trägt das Tarifsystem des Öffentlichen Dienstes dazu bei, Probleme eines Gender-Pay-Gap zu verhindern.
Barbara Lison ist Direktorin der Stadtbibliothek Bremen und Präsidentin des Bibliotheksweltverbandes International Federation of Library Associations (IFLA).
Dieser Text ist Teil des Dossiers „Frauen in Führung“. Die einzelnen Beiträge des Dossiers werden durch Illustrationen prägender Frauen aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart begleitet.