Ein Porträt der documenta – Generaldirektorin Sabine Schormann
Von Andreas Kolb
Die documenta 15 will lebendiger sein als je zuvor: Das Publikum soll partizipieren und bei den Veranstaltungsformaten denkt man über klassische Formate hinaus an vielfältige Formen kultureller Praktiken. Die Findungskommission von Deutschlands wichtigster Kunstausstellung hielt gleich zwei Premieren bereit: Sie hat erstmals Kuratoren aus Asien benannt und – der Plural sagt es bereits – es handelt sich nicht um einen oder eine Chefkuratorin, sondern um ein Kuratorenkollektiv, die Künstlergruppe „ruangrupa“ aus Jakarta in Indonesien. Der Begriff ruangrupa kommt aus dem Indonesischen und bedeutet in etwa Raum der Kunst oder auch Raum-Form. Im Selbstverständnis des Kollektivs sollen künstlerische Ideen in einem breiten Kontext von Ausstellungen, Festivals, Workshops und Forschung gefördert und entwickelt werden. Die Gruppe betreibt zahlreiche Projekte wie ARTLAB, die RURU Gallery, das Online-Journal „Karbon“, „RURUradio“ sowie Kunstfestivals wie „Jakarta 32°C“ und „OK. Video“.
Die für die documenta 15 zuständige Gruppe besteht aus neun Künstlerinnen und Künstlern: Ade Darmawan, Reza Afisina, Indra Ameng, Farid Rakun, Daniella Fitria Praptono, Iswanto Hartono, Ajeng Nurul Aini, Julia Sarisetiati und Mirwan Andan.
Kollektiv statt Künstlerfürst? Sabine Schormann, seit 2018 als Generaldirektorin der documenta im Amt, sieht hier einen Trend. Sie betont außerdem, dass das Konzept von ruangrupa den Nerv der Zeit trifft: „Gerade in Bezug auf die Corona-Krise merkt man, dass diese Wahl topaktuell ist. Beim Konzept des Kollektivs geht es um Kooperation und Solidarität, füreinander Einstehen, Empathie und Großzügigkeit, also um viele Werte, die in diesen Tagen wichtiger sind denn je. Im Kollektiv ruangrupa sind zudem auch unterschiedliche Professionen vertreten, sodass auch hier ein vielfältiges Zusammenwirken entsteht. Insofern ist in jeder Hinsicht alles in ein dialogisches Prinzip übergegangen. Daran muss man sich natürlich gewöhnen und z. B. lernen, in so einem Umfeld Konflikte zu lösen, aber im Kern ist es ist ein fröhliches und unbeschwertes Arbeiten.“
Fröhlich und unbeschwert arbeiten, das sind ungewohnte Worte in der Zeit der Corona-Pandemie, die den Kunst- und Kulturbetrieb praktisch zum Erliegen gebracht hat. Der Optimismus Schormanns beruht sicher nicht nur auf dem dialogischen Prinzip, sondern gründet auch in der Tatsache, dass die documenta 15 erst am 18. Juni 2022 ihre Pforten öffnet. Es besteht eine berechtigte Hoffnung, dass der Kulturbetrieb bis dahin wieder Fahrt aufgenommen hat und dass sich Publikum und Künstler wieder im öffentlichen Raum begegnen können.
Welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auf die documenta 15 im Jahr 2022 haben kann, ist heute noch nicht abzusehen. Ein zweiwöchiges Assembly mit dem erweiterten künstlerischen Team und Partnern, das Ende März in Kassel hätte stattfinden sollen, wurde ins Digitale verlegt: „Trotz bis zu 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus zehn Ländern in verschiedenen Zeitzonen klappt das erstaunlich gut“, konstatiert Schormann. 18 Jahre lang war Sabine Schormann Direktorin der niedersächsischen Sparkassen-Stiftung und der VGH-Stiftung und dort zuständig für zahlreiche Kulturprojekte: Zu nennen wären unter anderem die Entwicklung der Niedersächsischen Musiktage zum Themenfestival, die Einführung eines Museumsgütesiegels oder auch die Etablierung des Netzwerkes „Musikland Niedersachsen“. Nach ihrem Beweggrund für den Einstieg in ihre neue Aufgabe in Kassel gefragt, schwärmt sie, dass das spannende Abenteuer documenta lockte. „Ich war privat immer wieder auf documenta-Ausstellungen und war fasziniert davon. Manches in der neuen Arbeit ist vergleichbar mit früher, mich freut aber besonders das internationale Umfeld, das noch mal andere Herausforderungen mit sich bringt. Das fängt bei Visumfragen an und man stellt fest, wie dankbar man doch für unseren Schengenraum ist und wie privilegiert wir doch sind. Bei den Stiftungen habe ich mich als Ermöglicherin verstanden und hier ist das eigentlich genauso. Es geht darum, der künstlerischen Leitung sozusagen einen roten Teppich zu bereiten, auf dem deren Ideen möglichst gut gestaltet werden können.“
Sabine Schormann stammt aus Bad Homburg und sie blieb auch nach dem Abitur erst einmal im Rhein-Main-Raum: Sie studierte Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte in den 1980er Jahren in Mainz und arbeitete bereits als Studentin beim Goethe Museum in Frankfurt. 1992 wurde sie zu einem Thema über Bettine von Arnim promoviert. In diesem Jahr wechselte sie in die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit bei der Deutschen Stiftung Denkmalschutz in Bonn. Schormann erinnert sich: „Ich habe schon während des Studiums viel frei gearbeitet, auch als Journalistin, dann im Goethe Museum, wo ich schon kleine Ausstellungen mitgestalten durfte und auch wissenschaftlich mit Archiven arbeitete. Damals stellte ich fest, dass ich ein kleines Talent dafür hatte, Projekte zu organisieren und Menschen zusammenzuführen. Das ist das, was Stiftungen ganz typischerweise tun, und so bin ich bei der Deutschen Stiftung Denkmalschutz an einer guten Stelle gelandet.“
Nicht nur sie selbst war gut gelandet, sondern mit dem Großprojekt „Tag des offenen Denkmals“ landete sie 1993 auch einen echten Hit. Das Ganze blieb kein „One-Hit-Wonder“, sondern wurde ein Klassiker. Ein Erfolgsmodell, das heute noch funktioniert und sich weiterhin großer Beliebtheit erfreut. „Es erfüllt mich auch heute noch jedes Mal mit großer Freude, wenn der ‚Tag des offenen Denkmals‘ stattfindet und es in die Tagesschau schafft“, sagt Schormann. „Allerdings muss ich sagen, erfunden hat das Ganze Jack Lang, der damalige französische Kulturminister, als ‚European Heritage Days‘. Was der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und mir damals gelungen ist, war die bundesweite Durchsetzung einer solchen Aktion. Das ist im Kulturbereich üblicherweise nicht ganz so einfach, allein wegen der unterschiedlichen Zuständigkeiten. Ich hatte mich am niederländischen Modell orientiert, das den Akteuren vor Ort viele Freiheiten lässt. Es wurde somit keine Aktion von oben, sondern von unten. Das war das Erfolgsgeheimnis des ‚Tages des offenen Denkmals‘: Alle machen aus Eigeninteresse mit und auch weil es ihnen Spaß macht und sie selbst gestalten können.“
Ein „Lieblingskind“ unter ihren vielen Projekten ihrer Stiftungs- und Museumsarbeit zu nennen, wie etwa den „Tag des offenen Denkmals“ oder die beiden Expo-2000-Ausstellungen, die sie in Hannover durchgeführt hat, fällt Sabine Schormann schwer. Auf alle Fälle wird die documenta 15 ein neuer Höhepunkt für sie. Seit 18 Monaten ist Schormann als Generaldirektorin der documenta und des Museums Fridericianum im Amt und kann daher ein erstes Fazit ziehen: „Es ist eine herausfordernde Aufgabe, die durch das allgemeine Zeitgeschehen nicht gerade einfacher wird. Aber die Arbeit mit faszinierenden Menschen und ihren spannenden konstruktiven Ideen macht unendlich viel Spaß. Ich bin angekommen bei der documenta.“
Andreas Kolb ist Redakteur von Politik & Kultur.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05|20.