Annika Mendrala von Bühnenmütter e.V. im Gespräch
In diesem Sommer haben die Opernsängerinnen Annika Mendrala und Verena Usemann den Verein Bühnenmütter gegründet, der sich für die Interessen von Künstlerinnen einsetzt, die auf oder hinter der Bühne arbeiten und bereits Mütter sind oder werden. Um seinen Forderungen für familienkompatiblere Arbeitsbedingungen Nachdruck zu verleihen, haben die Initiatorinnen eine Studie angefertigt, an der sich knapp 130 Frauen beteiligt haben. Ihr Einsatz wurde auch bereits belohnt: Bühnenmütter e.V. wurde für ein startSocial Beratungsstipendium ausgewählt. Die Pilotstudie des Vereins untersucht die Lebens- und Arbeitssituation von Bühnenkünstlerinnen. Der Fokus liegt auf den emotionalen, künstlerischen und finanziellen Lebensbedingungen der Frauen, um die erlebte Realität abzubilden.
Cornelie Kunkat: Frau Mendrala, zusammen mit Ihrer Kollegin Verena Usemann haben Sie vor gar nicht langer Zeit die Bühnenmütter ins Leben gerufen. Aus Ihrem vagen Gefühl, dass Künstlerinnen mit Kindern an Bühnen schlecht behandelt werden und kaum dagegen aufbegehren, sondern eher ein Schamgefühl entwickeln, ist nun eine Studie erwachsen. Was war in diesem Zusammenhang Ihre wichtigste Erkenntnis?
Annika Mendrala: Die wichtigste Erkenntnis war, dass unser vages Gefühl bestätigt wurde und wir überrascht waren, wie detailliert die Frauen von diskriminierenden Erfahrungen berichten. Nach wie vor ist es für viele Frauen sehr schwer, den künstlerischen Bühnenberuf mit den Bedürfnissen einer Familie zu vereinbaren. Darüber hinaus haben wir nicht mit so vielen Teilnehmerinnen gerechnet. Es fühlte sich fast so an, als ob viele darauf gewartet hatten, sich Luft zu machen und ihre Erfahrungen zu teilen. In der Studie stellten wir viele offene Fragen, so dass wir authentische Erlebnisberichte und Ideen der Frauen sammeln konnten.
Welche emotionalen, finanziellen und künstlerischen Konsequenzen hat die Mutterschaft für Bühnenkünstlerinnen?
Viele Frauen berichten davon, dass sie durch die Mutterschaft als Künstlerin anders wahrgenommen wurden, dass Ihnen weniger zugetraut oder sie anders eingesetzt bzw. besetzt wurden. Finanziell gesehen ist eine Mutterschaft auch bei Künstlerinnen im Normalfall kein Gewinn. Da berichten 44 Prozent von einer rückläufigen finanziellen Entwicklung – also fast jede zweite Frau. Und wir sprechen hier von Einkommen, die im Vergleich zu anderen Branchen sowieso eher niedrig sind. Emotional erleben Frauen die Mutterschaft oft als Reifephase: Viele Studienteilnehmerinnen beschreiben sich als interessantere, effizient organisierte und gut vorbereitete Künstlerinnen, die ihren Beruf lieben professionell arbeiten wollen, aber an den Kulturmarktbedingungen häufig scheitern.
Haben Sie mit Ihrem Verein schon genügend Mitstreiterinnen gefunden, um Forderungen zu formulieren? Oder ist es schwer Frauen zu finden, die sich über die Arbeitsbedingungen öffentlich beschweren? Im Interview mit dem Deutschlandradio sprach Verena Usemann von einem verbreiteten Schamgefühl der Mütter, ihren Beruf nicht adäquat ausfüllen zu können. Hat dies negative Konsequenzen für solidarische Aktionen?
Als Initiative hatten wir bereits eine geschlossene Facebookgruppe aufgebaut mit aktuell rund 340 Frauen, die nun bundesweit vernetzt sind; dazu einen Newsletter-Verteiler mit über 200 Abonnentinnen. Und mit den über 120 Teilnehmerinnen dieser Pilotstudie haben wir mittlerweile das Gefühl, für eine große Gruppe von Frauen zu sprechen. Der Pilotstudie ist deshalb auch ein Forderungskatalog der Bühnenmütter angehängt, welcher aus den Ergebnissen, den zahlreichen digitalen Konferenzen und Gesprächen des letzten Jahres entstanden ist.
Der Verein ist noch sehr jung, also werden wir weiterhin neue Mitglieder werben. Es gibt einen festen Kern spannender und engagierter Frauen, die ihre Ideen einbringen und sich öffentlich dazu bekennen, dass die Arbeitsbedingungen an den Theatern mit einer Familie schwer zu vereinen sind. Aber es gibt auch viele Frauen, die sich das nicht trauen. Und da spreche ich von berühmten, gestandenen Künstlerinnen.
Die Sorge, dass es nicht förderlich ist, sich bei uns zu engagieren, kann ich sogar verstehen. Ich habe da für mich eine Entscheidung getroffen: Mir sind dieser Kampf und die Veränderung für die nächste Generation wichtiger als der nächste Auftrag. Von einer anderen Bühnenmutter weiß ich sogar, dass sie explizit einen Auftrag bekommen hat, weil sie so viel auf Social Media über die Vereinbarkeitsthematik postet. Ein Intendant fand das so toll, dass er sie unterstützen wollte und engagiert hat.
Wir sind kein Mecker-Club. Wir wollen Veränderungen schaffen durch positive Kommunikation, die Bildung einer Community und Stärkung von Frauen – gerade in Hinblick auf das Thema Scham, welche durch Mutterschaft und damit verbundene rückläufige Verfügbarkeit für den Beruf entsteht. Wir sagen ganz klar: Qualität vor Quantität. Eine Künstlerin, die eine Produktion im Jahr mit voller Hingabe vorbereitet, professionell ausführt und sich ansonsten um ihre Kinder kümmert, ist künstlerisch genauso wertvoll, wie eine Frau, die fünf Produktionen im Jahr Vollzeit arbeitet.
Gab es in Ihrer Umfrage auch Frauen, die an Häusern gearbeitet haben, die keinen Druck ausgeübt, sondern Unterstützung angeboten haben? Gibt es also vielleicht bereits Modelle, die andere Häuser übernehmen könnten?
Ja, die gab es. Wir haben explizit nach Best Practice-Beispielen gefragt – und haben auch welche bekommen. Das Theaterhaus Jena wurde beispielsweise sehr positiv hervorgehoben mit festen Probenzeiten von 10-16 Uhr und keinen standartmäßigen Samstagsproben. Andere berichteten von einer angenehmen Rücksichtnahme im Probenalltag oder der Möglichkeit, in Probenpausen sein Kind zu stillen oder sich während der Schwangerschaft bei einer Probe setzen oder etwas essen zu dürfen.
Haben Sie Erkenntnisse, wer den Druck auf die Mütter insbesondere ausübt? Die Hausleitung oder das Team, Kolleginnen ebenso wie Kollegen?
Diese Frage ist wirklich hochinteressant, aber ganz klar kann man sie nicht beantworten. Es ist eine Kombination aus mehreren Faktoren. Ein Beispiel kommt mir sofort in den Sinn, wo es um den Druck der Hausleitung ging, den eine Frau ganz klar berichtet hat. Sie erzählte: Der Intendant hat mir gedroht, ich bekomme nicht die Partien, die ich mir wünsche, wenn ich die Elternzeit nach meinen Vorstellungen und Bedürfnissen nehme. Die Intendanz wollte mich dazu zwingen, eine ganze Spielzeit weg zu bleiben, damit sie komplett für eine Spielzeit jemanden als Ersatz einstellen konnten.
Natürlich machen sich die Frauen auch selbst Druck. Als Lösungsvorschlag für die schwierige Situation der Vereinbarkeit wurde häufig genannt, die eigenen Ansprüche zu hinterfragen und zu ändern. Aber auch Kolleg*innen können offenbar in ihren Urteilen sehr extrem sein, wie einige Studienteilnehmerinnen berichtet haben. Sätze wie „Die hat einen Braten in der Röhre“,„Na mal schauen, was die noch kann, wenn sie wieder da ist.“,“Die heilige Johanna kann sie ja dann nicht mehr spielen“ und „Tja, mit Kind war´s das dann für dich“ sind verletzend, diskriminierend und beeinträchtigen die Courage in einer so verletzlichen Situation, in der man sich als Schwangere oder junge Mutter befindet.
Zudem wurde ganz konkret von Kündigungen und Vertragsauflösungen berichtet. Die hat jede vierte Studienteilnehmerin erleben müssen; also wiederum Konsequenzen, die von der Hausleitung gezogen wurden. Und das sind natürlich Erlebnisse, die die Runde machen und indirekt Einfluss auf junge Kolleginnen ausüben, die dann ihrerseits Sorgen haben und die Familiengründung verschieben, aufgeben oder Schwangerschaften verheimlichen. Diesen Teufelskreis wollen wir durchbrechen.
Und nun abschließend noch die Frage: Wie viele Arbeitstage haben Sie beide geschätzt in diese ehrenamtliche Tätigkeit bis heute gesteckt?
Das sind so viele, dass ich sie nicht mehr zählen kann! Insbesondere, weil ich ja auch voll berufstätig bin, waren es vor allem die Abende, Nächte, Ferientage und Wochenenden, an denen ich die Pilotstudie ausgewertet habe. Auch die Führung dieser Initiative bzw. des Vereins ist extrem zeitintensiv. Aber: es lohnt sich! Die Frauen, die ich im letzten Jahr kennen gelernt habe, sind so spannende, interessante und tolle Künstlerinnen, dass es für mich persönlich ein großer Gewinn ist, diese Frauen in meinem Leben zu wissen.
Die Pilotstudie „Belastungen, Bedürfnisse und Herausforderungen von Bühnenmüttern“ ist unter diesem Link abrufbar. Ein Fact Sheet zur Studie gibt es hier.
Annika Mendrala ist Opernsängerin und Mitbegründerin des Vereins Bühnenmütter.
Cornelie Kunkat ist Referentin für Frauen in Kultur & Medien beim Deutschen Kulturrat.