Die Superkraft der Kamala Khan
Katharina Pfannkuch
Sie ist anders als andere Comic-Superheldinnen und gerade deshalb so beliebt: Kamala Khan ist ein muslimischer Teenager auf Identitätssuche – und entdeckt dabei nicht nur die eigenen Superkräfte.
Die Heldinnen des Marvel-Universums, also der fiktiven Welt voller Figuren aus Comics des US-Verlags Marvel, sind starke Frauen. Mutig kämpfen sie gegen Widersacher, verbünden sich zu Allianzen, bezwingen immer wieder auch Selbstzweifel und haben bei alldem auch noch Humor. Jede hat ihre ganz eigenen Superkräfte, eine besondere Persönlichkeit – und erfüllt neben ihrer Mission auch gängige Schönheitsideale: Black Widow und Spider Woman betonen ihre Sanduhrfiguren mit engen Jumpsuits, Emma Frost trägt oft bauchfreie Korsagen mit tiefem Ausschnitt, und selbst She-Hulk kämpft im engen Body. Egal, wie hart es bei den Kämpfen zur Sache geht: Die Haare fallen perfekt, und mit ihrem Make-up könnten die Heldinnen auch über den roten Teppich schreiten. Auch ihre Kolleginnen aus der Welt der DC Comics, allen voran Wonder Woman, sind für ihre amazonenhaften Auftritte bekannt.
Eine ihrer Mitstreiterinnen aber sticht heraus. Und das, obwohl sie tagsüber eher unscheinbar ist: Die 16-jährige Kamala Khan alias Ms. Marvel hat eine gesunde Teenagerfigur statt extrem schmaler Taille und kilometerlanger Beine, trägt kein Make-up, kämpft im hochgeschlossenen Anzug statt mit tiefem Dekolleté, und ihre Haare fallen, wie Haare nun einmal fallen, wenn man mitten in der Nacht in aufreibenden Kämpfen die Welt rettet.
Sieht man einmal von ihren Superkräften ab, wirkt diese 16-Jährige ganz schön normal – und entpuppt sich doch als eine, die Meilensteine setzt. Nicht nur in der Comic-Welt, die sie 2014 als Heldin ihrer eigenen Heftreihe im Sturm eroberte, seit vergangenem Sommer mit einer Serie auf Disney+ begeistert und ungeduldig ihrem ersten Kinoauftritt in „The Marvels“ im Herbst entgegenfiebern lässt.
Als in den USA geborene Tochter pakistanischer Muslime muss Kamala nicht nur die üblichen Teenagerprobleme in der Schule oder auch bei der Führerscheinprüfung meistern, sondern auch das Spannungsfeld zwischen familiärer Liebe, Druck, Erwartungen und den eigenen Träumen. Ihre Eltern etwa wollen nicht, dass Kamala im Superheldenkostüm zu einer Comic-Convention geht, überhaupt solle sie sich vielmehr um die Schule kümmern. Dort gehört sie nicht zur Clique der Coolen, geht kaum auf Partys und trägt – schon bevor sie ihre eigenen Superkräfte entdeckt – statt knapper Cheerleader-Röcke lieber T-Shirts mit ihren Idolen darauf. Ihre Idole, das sind die Helden des Marvel-Universums, allen voran Captain Marvel alias Carol Danvers.
Auch Iman Vellani, die Kamala in der Serie und im Film verkörpert, war schon Fan der Marvel-Comics, bevor sie Teil davon wurde. Genau wie die Superheldin hat Vellani pakistanische Eltern, wuchs aber in Kanada auf. Und genau wie Kamala habe sie eine Reise der Selbstentdeckung hinter sich, während der sie viel über ihre Familie und deren Erbe gelernt habe, so Vellani 2022 in einem Interview mit der „Cosmopolitan Middle East“. In der ersten muslimischen Comic-Superheldin habe sie ein Mädchen wie sich selbst entdeckt.
Ausgerechnet eine Heldin, die in der Verfilmung Lichtenergie schaffen, formen und als Waffe oder als Schutzschild nutzen kann, wird zur Identifikationsfigur für Millionen Teenager rund um die Welt – diesen vermeintlichen Widerspruch löst die Figur der Kamala Khan spielerisch auf. Als Comic-Freaks belächelte Außenseiter können sich in ihr ebenso wiederfinden wie heranwachsende Mädchen, die mit Schönheitsidealen und Rollenbildern hadern. Kinder immigrierter Eltern können familiäre Konflikte wiedererkennen und den mal mehr, mal weniger stark ausgeprägten Wunsch, dazuzugehören. Und Muslime sehen, wie auch Kamala und ihre Familienmitglieder den Spagat zwischen religiöser Tradition und individueller Lebensweise meistern.
Das alles ist weit weg von Klischees, die sonst oft wie Automatismen greifen, sobald es in Hollywood-Produktionen um muslimische Charaktere geht. Hier wird eine islamische Hochzeit als rauschendes Fest gezeigt, auch das feierliche Fastenbrechen im Ramadan findet Platz. Genau wie ein geschichtlicher Exkurs zur Teilung zwischen Pakistan, der Heimat von Kamalas Familie, und Indien 1947. Dass Kamalas Superkräfte in der Verfilmung aus einem Armreif ihrer Großmutter kommen – in den Comics stammen diese aus einem Nebel –, darf als Hinweis auf die Stärke verstanden werden, die in kultureller Herkunft liegen kann.
Kamala Khan ist ein mit Superkräften ausgestatteter Teenager, der die Welt rettet, mit seinen Eltern über Alltägliches streitet, Klischees über eine Weltreligion thematisiert und ganz nebenbei das derzeit so vielbeschworene „female empowerment“ mit seltener Leichtfüßigkeit und Humor daherkommen lässt. Deshalb warten nicht nur eingeschworene ComicFans ungeduldig auf ihren nächsten großen Auftritt in „The Marvels“ an der Seite ihrer Idole Captain Marvel und Monica Rambeau. Der Trailer zu dem im November startenden Film zeigt, wie das Trio zusammenfindet. Es ist ein ungewöhnliches erstes Treffen. Aber Kamala Khan ist ja auch keine gewöhnliche Superheldin.
Katharina Pfannkuch ist freie Journalistin und Autorin und schreibt unter anderem für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, die Welt am Sonntag, Spiegel Online und Cosmopolitan.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5|23.