Susanne Lang
Die Forderung begann mit einer bemerkenswerten Feststellung: „Frauen sind nicht das Problem, sondern die Lösung“. Bemerkenswert war sie weniger hinsichtlich des Inhalts, sondern vielmehr im Blick auf den Absender: Es war kein Geringerer als Gabor Steingart, damals noch Chefredakteur des Handelsblatt, der damit eine Frauenquote für Führungspositionen in seiner Redaktion ankündigte. Sein Bekenntnis war 2012 einem offenen Brief der Initiative ProQuote vorangestellt. Darin forderte sie, adressiert an alle Verleger, Intendanten, Chefredakteure und Herausgeber, einen Frauenanteil von 30 Prozent in allen Führungspositionen von Medienhäusern. Umgesetzt werden sollte das Ziel innerhalb von fünf Jahren.
Nach dieser Forderung begann ProQuote, seit Juni 2012 als Verein agierend, in Form von eigenen Zählungen sowie quantitativen Studien zu überprüfen, wie hoch der Anteil von Frauen an der publizistischen Macht in Deutschland tatsächlich ist. Die Ergebnisse gelten bis heute als vielzitierte Referenzpunkte in den Gleichstellungsdebatten in Medienhäusern. Sie erlauben einen Einblick in die Redaktionsstrukturen und geben eine Antwort auf die Frage, wer eigentlich darüber bestimmt, welche Themen in der Öffentlichkeit verhandelt und welche Perspektiven eingenommen werden.
Dieses Agenda-Setting lag lange Zeit vorrangig in männlicher Hand. Zum Zeitpunkt des offenen Briefs von ProQuote waren lediglich zwei Prozent aller Chefredakteure der rund 360 deutschen Tages- und Wochenzeitungen Frauen, von den zwölf Intendanten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks waren lediglich drei weiblich. Auch in den Redaktionen der Nachrichtenmagazine standen fast ausschließlich Männer an der Spitze. Die gute Nachricht: Zehn Jahre nach der ersten Forderung von ProQuote klingt ein Frauenanteil von 30 Prozent nicht mehr spektakulär, sondern durchaus realistisch.
Im Bereich des Rundfunks hat sich der Anteil von Frauen an der publizistischen Macht durchschnittlich erhöht, wie die jüngste Studie von ProQuote Medien zur Geschlechterverteilung in journalistischen Führungspositionen ergeben hat. Sie ist im April 2022 erschienen, Erhebungszeitraum für die Zählung war Juli 2021 bis Januar 2022. Ziel war es, belastbare Erkenntnisse zur Gender-Realität in den Medienhäusern zu gewinnen, um eine Faktengrundlage für weitere Maßnahmen zu schaffen.
Angelegt ist die Studie exakt wie die Vorgängererhebung aus dem Jahr 2018, in der ProQuote zum ersten Mal den Frauenmachtanteil im öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk in Deutschland erhoben hatte. Aufgrund des identischen Studiendesigns lassen sich die Ergebnisse vergleichen und Rückschlüsse über zeitliche Entwicklungen ziehen. Folgende Fragen standen im Mittelpunkt: Wie haben sich die Frauenanteile in der Gesamtbelegschaft, in den Führungsetagen und speziell im Bereich der Redaktions- und Programmverantwortung seit 2018 verändert? Welche Maßnahmen oder Ziele sind hinzugekommen und von welchen Instrumenten haben sich Sender gegebenenfalls verabschiedet?
Auf eine Besonderheit der Erhebungen von ProQuote Medien sei an dieser Stelle hingewiesen: Sie ermitteln den sogenannten „Frauenmachtanteil“, also den nach Hierarchieebenen gewichteten Frauenanteil – im Unterschied zum ungewichteten Anteil. Der Verein hat den Begriff gezielt geprägt, um die Machtverhältnisse besser abbilden zu können. Denn ein Intendant oder eine Intendantin hat selbstverständlich mehr Einfluss und Verantwortung als beispielsweise eine Redaktionsleiterin oder ein Redaktionsleiter – auch wenn es sich in beiden Fällen um Führungspositionen handelt. Die Studie zum Rundfunk unterscheidet demnach vier Führungsebenen, von der Intendanz bzw. dem Vorstand über die Programmdirektionen sowie Chefredaktionen und Hauptabteilungsleitungen bis hin zu Redaktionsleitungen. Die Zahl der Männer und Frauen auf der obersten Ebene wurden jeweils mit dem Faktor vier multipliziert, auf der zweithöchsten Ebene mit dem Faktor drei. Die dritte Ebene wurde doppelt gewertet und die unterste einfach.
Basierend auf Informationen der Sender sowie Auskünfte der Medienhäuser und eigenen Recherchen von ProQuote ergibt sich im Rundfunk folgendes Gesamtbild: Sowohl in öffentlich-rechtlichen Anstalten als auch im privaten Rundfunk machen Frauen mittlerweile durchschnittlich die Hälfte der Gesamtbelegschaft aus. Auch beim journalistischen Nachwuchs hat sich das Verhältnis im Vergleich zu 2018 nicht verändert. Es starten deutlich mehr Frauen eine journalistische Karriere als Männer. Der Anteil von Frauen in Führungspositionen ist dagegen zwar im Vergleich zu 2018 insgesamt gestiegen. Dennoch haben Männer nach wie vor mehr Einfluss auf die Programmgestaltung und Redaktionsentscheidungen. Das zeigt sich beispielsweise auch bei der 15-köpfigen ARD-Programmkoordination, in der nur zwei Frauen vertreten sind. Eine Parität wird nur von wenigen Sendern erreicht.
In den öffentlich-rechtlichen Anstalten ist der Frauenmachtanteil gestiegen, 2021 lag er im Durchschnitt bei 42,7 Prozent, 2018 waren es 36,5 Prozent. Beim deutsch-französischen Kultursender Arte hat sich der Frauenmachtanteil ebenfalls erhöht. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang vor allem die Programmkonferenz, in der 2018 gar keine Frau vertreten war. Nun liegt der Frauenanteil dort bei 25 Prozent.
Den höchsten Frauenmachtanteil im öffentlich-rechtlichen Rundfunk weist der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) mit 57,4 Prozent auf. Ebenfalls großen Einfluss auf das Programm haben Frauen bei der Deutschen Welle, dort liegt der Frauenmachtanteil 2021 bei 50,8 Prozent. Insgesamt haben sich fast alle Anstalten in Richtung Parität bewegt, der Frauenmachtanteil liegt bei mindestens 40 Prozent und höher. Ausnahmen sind der Hessische Rundfunk mit lediglich 29,4 Prozent und der Saarländische Rundfunk mit 36,1 Prozent.
Interessant ist der Blick auf die junge Generation, wo das Gleichstellungsprinzip fester verankert scheint. So wurde etwa bei funk, dem jungen Angebot von ARD und ZDF, sowohl in der Zentrale insgesamt als auch im Bereich der Programm- und Redaktionsverantwortung Parität erreicht.
Weniger ausgewogen ist das Geschlechterverhältnis in den Kontrollgremien der öffentlich-rechtlichen Sender. Sie sind nach wie vor mehrheitlich mit Männern besetzt. In den Rundfunk-, Fernseh- und Hörfunkräten ist der durchschnittliche Frauenanteil von 41,5 Prozent im Jahr 2018 auf 40,3 gesunken. Bei den Verwaltungsräten lässt sich 2021 ein minimaler Anstieg um 0,3 Prozentpunkte auf 38,8 Prozent verzeichnen. Zwar existieren mittlerweile etliche gesetzliche Vorgaben zur geschlechterausgewogenen Besetzung der Gremien, allerdings sind diese oftmals alternierend formuliert. War ein Sitz weiblich besetzt, folgt in der nächsten Amtszeit ein Mann und umgekehrt. Dadurch lässt sich beispielsweise der starke Rückgang des Frauenanteils im Rundfunkrat des rbb im Vergleich zu 2018 von rund 60 auf nun mehr gut 31 Prozent erklären.
Bei den privatrechtlichen Sendern ist die Situation insgesamt unübersichtlicher. Aufgrund der dürftigen Datenlage ließ sich auch 2021 kein gewichteter Frauenmachtanteil erheben. Anders als bei vielen öffentlich-rechtlichen Anstalten ist die Auskunftsbereitschaft über die Geschlechterverteilung in den Redaktionen privater Medienhäuser seit 2018 nicht gewachsen. Als Argument für die Intransparenz werden häufig nicht näher konkretisierte Wettbewerbsgründe genannt. Festzuhalten ist für den privaten Rundfunk, dass im Top-Management von ProSiebenSat.1 2021 eine Frau vertreten war. Das entspricht der eigenen Zielvorgabe des Konzerns von einem 30-Prozent-Anteil. Bei RTL hingegen ist die Anzahl von Frauen in journalistischen Leitungspositionen nach der Fusion mit dem Verlagshaus Gruner + Jahr weiter gesunken. Im programmrelevanten Top-Management waren kaum Frauen vertreten (13,8 Prozent).
Großen Handlungsbedarf in Bezug auf Gleichstellung gibt es im Bereich des Sportjournalismus. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk stehen insgesamt nur vier Frauen an der Spitze von Sportredaktionen. Bei Privatsendern und digitalen Bewegtbild-Angeboten, die ProQuote in die Erhebung einbezogen hat, leitet keine einzige Frau eine Sportredaktion.
Erfreulich hingegen ist die Tatsache, dass zumindest das Bewusstsein für die nach wie vor ungleiche Geschlechterverteilung in den Führungsebenen von Medienhäusern gewachsen ist. Redaktionsleitungen reagieren sowohl im privaten Rundfunk als auch in öffentlich-rechtlichen Anstalten nach eigenen Angaben mit verschiedenen Maßnahmen zur Förderung von Frauen. Instrumente wie Coachings, Workshops und Netzwerke haben sich etabliert, ebenso wie die Unterstützung bei der Kinderbetreuung, Top-Sharing, flexible Teilzeitmodelle oder die Möglichkeit, mobil zu arbeiten. Einige Sender haben sich überdies dazu verpflichtet, den Frauenanteil im Programm zu erhöhen und beteiligen sich nach Vorbild der britischen BBC an der Challenge 50:50, die einen ausgeglichenen Anteil an weiblichen Stimmen im Programm zum Ziel hat. Nicht zuletzt fühlen sich die Frauen selbst mittlerweile ermutigt, Verantwortung zu übernehmen.
Die Kommunikationswissenschaftlerinnen Stine Eckert und Karin Assmann kommen etwa in ihrer Studie „The ‚ProQuote‘ initiative: women journalists in Germany push to revolutionize newsroom leadership“ von 2021 zu dem Schluss, dass vor allem Jüngere, die nun an der Spitze von Abteilungen und Redaktionen stehen, ein anderes Selbstverständnis entwickelt hätten. Sie sähen sich nicht mehr als Einzelkämpferinnen, sondern als Teil eines unterstützenden Netzwerks mit der Verantwortung, auf dem Erreichten aufzubauen. Das Stigma der Alibifunktion „Quotenfrau“ hat laut Eckert und Assmann damit einhergehend zwar abgenommen, beseitigt sei es jedoch immer noch nicht.
Inwieweit nicht zuletzt die Coronapandemie die Geschlechterverteilung und die Arbeitsbedingungen für Frauen in den Redaktionen nachhaltig beeinflussen wird, lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht final absehen. Festhalten lassen sich zwei unterschiedliche Entwicklungen, die durch die Pandemiepolitik angestoßen wurden: Zum einen haben sich die Möglichkeiten zur Telearbeit von zu Hause und damit einhergehend flexiblere Arbeitsbedingungen auch für Festangestellte etabliert. Es ist davon auszugehen, dass diese Flexibilisierung die Pandemie überdauern wird. Zum anderen ist jedoch vor allem die Arbeitsbelastung von Frauen, insbesondere mit Kindern, durch Care-Tätigkeiten während der Lockdowns gestiegen. In jedem Fall wird eine aktive Gleichstellungspolitik in Medienhäusern in den kommenden Jahren eine noch größere Bedeutung erhalten.
Susanne Lang ist freie Journalistin und Mitautorin der ProQuote-Studie „Welchen Anteil haben Frauen an der publizistischen Macht in Deutschland? Eine Studie zur Geschlechterverteilung in journalistischen Führungspositionen. Rundfunk 2021.“
Dieser Text ist Teil des Dossiers „Frauen in Führung“. Die einzelnen Beiträge des Dossiers werden durch Illustrationen prägender Frauen aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart begleitet.