Gabriele Schulz
Wenn über Frauen in Führung gesprochen wird, schlagen schnell die Emotionen hoch. Die einen meinen belegen zu können, dass Frauen kaum bis gar keine Chancen haben, Führungspositionen zu erreichen. Die anderen sind der Auffassung, dass dies doch schon lange kein Thema mehr sei, da Frauen längst angekommen sind und überhaupt aktuell vor allem Frauen eine Chance haben. Meines Erachtens sind weder das eine noch das andere in dieser Absolutheit zutreffend, sondern wie immer gibt es viele Schattierungen und Zwischenstufe.
Ausbildung für den Arbeitsmarkt Kultur
Um überhaupt einschätzen zu können, ob viele oder wenige Frauen eine Führungsposition im Kulturbereich haben, gilt es zunächst einen Blick auf die Ausbildung, also das Potenzial an Führungskräften zu werfen.
Den Weg der klassischen Lehre als Voraussetzung für den Einstieg in den Arbeitsmarkt und als Potenzial für spätere Aufstiegsqualifikationen schlagen mehr Männer (66 Prozent) als Frauen (34 Prozent) ein. Wenn junge Frauen sich allerdings für einen Ausbildungsberuf entscheiden, dann für einen Kulturberuf. Allerdings lässt sich hier eine eindeutige geschlechtsspezifische Segregation feststellen. Der Frauenanteil an den Auszubildenden bei den Gestaltern für visuelles Marketing, dem Buchhandel oder den Medienkaufleuten digital und print beträgt mehr als 70 Prozent. Ein großes Potenzial. Einen Ausbildungsweg als Mediengestalter Bild/Ton oder Fachkraft für Veranstaltungstechnik schlagen weniger als 30 Prozent Frauen ein. Vereinfacht kann man sagen: Im Dualen Ausbildungssystem gibt es die typischen Frauen und die typischen Männerberufe
Ähnliches lässt sich gleichfalls in der Hochschulausbildung feststellen, also dem Studium an Hochschulen für angewandte Wissenschaft, Universitäten und Kunsthochschulen. Generell ist der Frauenanteil an den »Kulturfächern«, also Studiengängen mit einem Kulturbezug oder künstlerischen Studiengängen, sehr hoch. Bei der Mehrzahl liegt er über 50 Prozent. Die Zukunft ist also weiblich.
Aber auch hier zeigt sich eine geschlechtsspezifische Segregation, die an zwei Spitzenwerten plastisch wird: Textilgestaltung studieren zu 90 Prozent Frauen, Tonmeister zu 85 Prozent Männer. Also auch hier kann von Frauen- und von Männerfächern gesprochen werden. Was wiederum zur Folge hat, dass das Potenzial an Führungskräften vor allem weiblich oder vor allem männlich ist.
Was heißt Arbeitsmarkt Kultur und Medien?
Eine Möglichkeit sich dem Arbeitsmarkt Kultur und Medien zu nähern, sind die Berufe. Für alle sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland stellt die Bundesagentur für Arbeit berufsspezifisch aufgefächerte Daten zur Verfügung, die Auskunft geben über den Frauenanteil, den Ausländeranteil, den Anteil der in Teilzeit Beschäftigten, den Anteil der verschiedenen Altersgruppen, den Status und das durchschnittliche Bruttoentgelt. Diese Daten sind eine Fundgrube für jeden, der sich sekundärstatistisch mit dem Arbeitsmarkt Kultur und Medien und vor allem mit den Kulturberufen befasst.
Die Daten zeigen, dass die Mehrzahl derjenigen, die in einem Kulturberuf tätig sind, sehr hoch ausgebildet ist. Weiter wird deutlich, dass Kultur- und Medienberufe mehrheitlich von Frauen ausgeübt werden, so beträgt der Frauenanteil in der Innenarchitektur mehr als 80 Prozent. Eine Ausnahme bilden technische Berufe wie z. B. Kamera- oder Tontechnik oder Musikinstrumentenbau.
Wird das Einkommen in den Blick genommen, zeigen die Daten der Bundesagentur für Arbeit, dass in Kultur- und Medienberufen im Durchschnitt weniger verdient wird als in anderen Berufen. Dieser Befund gilt für Männer und für Frauen!
Ganz grobschlächtig könnte man sagen: bei hochqualifizierten Berufen im Kultur- und Medienbereich handelt es sich um Berufe, in denen vor allem Frauen tätig sind und in denen weniger verdient wird als in anderen hochqualifizierten Berufen.
Gender-Pay-Gap
Auch beim Thema Gender-Pay-Gap, also dem Einkommensunterschied von Männern und Frauen vor Steuern, ist Differenzierung geboten. Betrachtet man die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten so ist er besonders niedrig im Buchhandel (Frauenberuf 6 Prozent) und in der Kamera- und Tontechnik (Männerberuf 6 Prozent). In einigen Berufen liegt er über 25 Prozent so z. B. in der Theater-, Film- und Fernsehproduktion. Über 30 Prozent beträgt er z. B. im Produktdesign. Bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten lässt sich vereinfachend sagen, dass sobald es Tarifverträge und starke Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen gibt, der Gender-Pay-Gap kleiner wird. Sobald das Gehalt vor allem an der Verhandlungsmacht von einzelnen liegt, wächst der Gender-Pay-Gap. Generell ist festzustellen, dass der Gender-Pay-Gap bei technisch-künstlerischen Berufen, in denen Frauen eine Minderheit sind, relativ gering ist.
Bei in der Künstlersozialkasse versicherten Künstlerinnen und Künstler sind gleichfalls sehr große Bandbreiten auszumachen, von 10 Prozent bei Lektorinnen gegenüber Lektoren zu 70 Prozent bei Librettistinnen zu Librettisten.
Was heißt Führung in Kulturunternehmen oder Kultureinrichtungen?
Heißt Führung Chef oder Chefin des Unternehmens oder der Einrichtung zu sein? Oder heißt Führung nicht ebenso einer Abteilung oder einem Arbeitsbereich vorzustehen? Darüber hinaus gibt es in vielen Unternehmen oder auch Kultureinrichtungen geteilte Führung: künstlerische Leitung und kaufmännische Leitung, die oft gleichberechtigt verantwortlich sind, im Rampenlicht im Kulturbereich steht sehr oft die künstlerische Leitung.
In der Debatte um Führung im Kultur- und Medienbereich muss meines Erachtens die Vielschichtigkeit von Führung reflektiert werden! Werden allein die Führungspositionen, die vom Oeckl, dem Taschenbuch des öffentlichen Lebens, für Symphonie- und Rundfunkorchestern, Theater, Kunst- und Fachmuseen ausgewiesen werden, ausgezählt, zeigt sich, dass Führung differenziert betrachtet werden muss. Es wird offenkundig, dass die Situation keineswegs überall so schlecht ist, dass davon die Rede sein muss, dass Frauen endlich in Führungspositionen kommen müssen.
Von den Symphonie- und Rundfunkorchestern, also jenen Klangkörpern, die keinem Theater zuzurechnen sind, sind 15 Führungspersönlichkeiten als Intendant bzw. Intendantin aufgeführt. Davon sind 11 Männer und 4 Frauen. Diese erschreckend kleine absolute Zahl bildet einen Frauenanteil von 25 Prozent ab. Anders sieht es bei den Generalmusikdirektoren aus: Hier ist es gar nicht erforderlich, eine nicht weibliche Form zu verwenden. Es werden im Oeckl ausschließlich 27 Generalmusikdirektoren aufgeführt, die im Übrigen sehr international aufgestellt sind.
Noch anders sieht es bei den Verantwortlichen für die Presse oder Öffentlichkeitsarbeit bzw. Kommunikation aus. Von 26 verzeichneten Personen sind 18 weiblich und 8 männlich; hier haben also zu 69 Prozent Frauen die Führung inne.
Von 52 im Oeckl aufgeführten Theatern haben 45 einen Intendanten oder 7 eine Intendantin. Es kann also von einer Männerdominanz gesprochen werden. Anders sieht es bei den Verwaltungsleitungen aus: Hier kann eine Grundgesamtheit von 56 ausgemacht werden, davon sind 38 Männer und 18 Frauen, das bedeutet einen Frauenanteil von 32 Prozent, sprich einem Drittel.
Bei den Generalmusikdirektoren zeigt sich ein ähnliches Bild wie bei den Symphonie- und Rundfunkorchestern, obwohl hier mit der Lupe unter 41 Führungspersönlichkeiten immerhin zwei Frauen findet. Das ist ein Frauenanteil von 5 Prozent. Führend sind hingegen die Frauen bei der Öffentlichkeitsarbeit. In 55 Theatern wird eine Führungskraft für diesen Bereich aufgeführt, darunter sind 43 Frauen und 12 Männer; der Frauenanteil beträgt 77 Prozent. Als Zwischenfazit lässt sich festhalten: Je künstlerischer die Tätigkeit ist, je stärker sie mit dem Nimbus der starken Künstlerpersönlichkeit verbunden ist, desto eher ist ein Mann anzutreffen: das Paradebeispiel hierfür sind meines Erachtens die Generalmusikdirektoren.
Bei den Museen zeigt sich ein anderes Bild. Von den 114 Kunstmuseen, bei denen eine Leitung im Sinne einer künstlerischen Leitung aus dem Oeckl zu entnehmen war, haben 66 Männer und 48 Frauen diese inne. Das ist ein Frauenanteil von 42 Prozent. Im Jahr 2016 wurde in der Studie „Frauen in Kultur und Medien“ noch ein Frauenanteil bei den Leitungen von Kunstmuseen von 30 Prozent ausgewiesen. Das heißt ein Aufwärtstrend an Frauen in Führungsverantwortung in Kunstmuseen ist deutlich zu erkennen. Bei den Verantwortlichen für die Presse, Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation ist wiederum ein deutlich höherer Frauen- als Männeranteil festzustellen. Von 85 Verantwortlichen in Kunstmuseen, die im Oeckl aufgeführt sind, sind 71 Frauen und 14 Männer. Das ist ein Frauenanteil von 84 Prozent.
Bei den im Oeckl genannten Fachmuseen haben 74 Männer die Leitung inne und 49 Frauen. Das entspricht einem Frauenanteil an Leitungen von 40 Prozent. Im Jahr 2016 waren es 33 Prozent. Also auch hier der Aufwärtstrend unverkennbar. Bei der Verantwortung für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zeigt sich das bereits eingeführte Bild: Sie liegt vor allem in Frauenhand, 81 Prozent der Verantwortlichen sind Frauen.
Was zeigen diese Zahlen?
Erstens zeigt sich im Museumsbereich, dass die Zukunft weiblich ist. Gerade bei den Kunstmuseen spiegelt der Anstieg an Direktorinnen, den hohen Anteil an Frauen, die Kunstgeschichte studieren.
Zweitens wird meines Erachtens bei Museen deutlich, dass Vorgaben aus Gleichstellungsgesetzen und die Arbeit von Gleichstellungsbeauftragten wirken. Öffentliche Museen müssen diese Vorgaben beachten und haben ab einer bestimmten Zahl an Beschäftigten auch Gleichstellungsbeauftragte.
Drittens scheint eine Erhöhung des Frauenanteils in der Leitung der Orchester, Theater und Museen eher durch die Öffentlichkeitsarbeit zu gelingen. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ist offenbar ein Frauenberuf.
Viertens die internationale Musikwelt der Generalmusikdirektoren ist nach wie vor eine Männerdomäne. An diesem Befund ändern auch die zwei Generalmusikdirektorinnen an Theatern wenig.Hier wirken Gleichstellungs- oder Antidiskriminierungsgesetze offenbar nicht, nach wie vor scheinen Argumente wie Weltruhm eine wichtige Rolle zu spielen. Hier scheinen kulturspezifische Parameter, was Frauen in Führung betrifft, eine gewichtige Rolle zu spielen.
Fünftens bin ich fest davon überzeugt, dass der demografische Wandel, das heißt das Ausscheiden der »Baby Boomer« aus dem aktiven Berufsleben in den nächsten Jahren, die Chancen von Frauen, Führungspositionen im Kulturbereich zu übernehmen, steigern wird. Die Chancen der vielen gut qualifizierten Frauen, spannende Führungsaufgaben zu übernehmen, werden wachsen und ich freue mich sehr, dass der Deutsche Kulturrat mit seinem Mentoring-Programm einen Beitrag dazu leisten kann, dass mehr Frauen in Führung kommen.
Gabriele Schulz ist Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates und Leiterin des Projektes „Frauen in Kultur und Medien“.
Dieser Text ist Teil des Dossiers „Frauen in Führung“. Die einzelnen Beiträge des Dossiers werden durch Illustrationen prägender Frauen aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart begleitet.