Simone Kauffeld im Gespräch mit Cornelie Kunkat
Simone Kauffeld arbeitet zu Arbeits-, Organisations- und Sozialpsychologie an der TU Braunschweig und führt derzeit die erste Studie zur Wirksamkeit von Frauennetzwerken in Kultur und Medien durch. Im Gespräch mit Cornelie Kunkat gibt sie Einblicke in die Ergebnisse.
Frau Kauffeld, Sie interessieren sich seit Längerem für die Arbeitsweise und Wirksamkeit von Frauennetzwerken. Aus meiner Beobachtung gab es in den letzten fünf Jahren im Kultur- und Medienbereich einen richtigen Gründungsboom. Wie erklären Sie sich, dass Frauennetzwerke bisher noch gar nicht wissenschaftlich beforscht wurden und Sie mit Ihrer gerade an der TU Braunschweig anlaufenden Studie Pionierin sind?
Sie haben recht, wir haben es mit einem neuen Phänomen zu tun, das sich z. B. auch in der Wirtschaft findet. Aber eine auf Netzwerke von Frauen und FLINTA*-Personen – die Abkürzung steht für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans und agender Personen – fokussierte Studie gibt es bislang nicht, obwohl die Formierung von nicht-klassisch-männlich agierenden Netzwerken seit ein paar Jahren stark zunimmt und angesichts der noch immer nicht eingelösten Geschlechtergerechtigkeit erhöhte politische Relevanz besitzt. Netzwerkforschung ist grundsätzlich keine Männer-Domäne. Daran kann es nicht liegen, dass hier noch keine wissenschaftlichen Betrachtungen vorliegen. Forschung ist oft von Forschungsförderung abhängig. Forschungsgelder konnten auch wir zu dem Thema noch nicht einwerben. Das öffentliche Interesse ist möglicherweise nicht groß genug. Auch lassen sich die Netzwerke selbst nicht so gern in die Karten gucken. Vielleicht liegt es zudem an der manchmal negativen Konnotation von Netzwerken als „Seilschaften“. Das Netzwerken hat etwas Anrüchiges, in dem Sinne, dass ein instrumentelles Menschenbild und eine Eigennutzenorientierung damit verbunden sind. Der Vorwurf, dass Netzwerker nicht aufgrund ihrer fachlichen Kompetenzen beruflich erfolgreich sind, sondern weil sie die richtigen Personen kennen, ist impliziert.
Was ist das genaue Ziel Ihrer Studie?
Bisherige Überlegungen weisen auf einen Geschlechterunterschied in der Effektivität der Networking-Aktivitäten hin, infolge derer Frauen auf weniger potenzielle Ressourcen in ihren Netzwerken zurückgreifen können. Aber entspricht dies der Wirklichkeit? Oder ist die Art der Unterstützung, die Frauen aus ihren Netzwerken ziehen, bisher vielleicht einfach zu wenig erforscht? Wir möchten umfassend untersuchen, was sich Frauen von Netzwerkgründungen versprechen. Ob ihre Ziele und Wünsche eingelöst werden? Welche Organisationsformen Frauennetzwerke erfolgreich machen und ob sie sich in ihrem Grundmuster von klassisch-männlich-agierenden Netzwerken unterscheiden?
Erst eine genauere Erforschung der Unterstützung, welche Frauen und FLINTA*-Personen in ihren Netzwerken suchen und finden, ermöglicht eine zielgerichtetere Förderung dieses Personenkreises und ihrem sozialen Kapital. Mit der geplanten Studie wollen wir hier einen Beitrag leisten, wenn wir beispielsweise die Merkmale identifizieren, die in Verbindung mit Erfolgsmaßen wie Karrierechancen, mentaler Stärkung, politischer Willensbildung oder beruflicher Vernetzung stehen. Und natürlich stellen wir diese immer in Bezug zu den jeweils spezifischen Netzwerkzielen.
Und wie gehen Sie dabei vor?
Wir schauen uns die Personen genau an, die sich in den Netzwerken zusammengeschlossen haben. Welche psychologischen Merkmale haben sie, und welche Merkmale kennzeichnen schließlich die Frauen, die daraus etwas schöpfen? Wie sind die Beziehungen der Mitglieder untereinander? Herrschen in einem Netzwerk eher homogene oder diverse Einstellungen vor? Sind die Gruppen, bezogen auf Alter, thematische, soziale und kulturelle Hintergründe, eher ähnlich oder unterschiedlich? Welche Muster zeichnen sich ab, damit die Netzwerkarbeit erfolgreich ist? Und wir untersuchen beispielsweise auch, wie oder ob sich die Regelmäßigkeit und Dauer der Treffen oder die Mediennutzung auf die Zufriedenheit der Mitglieder auswirkt.
Gibt es einen Studienaspekt, der Sie bereits besonders interessiert?
Ja. In typischen, männlich dominierten Netzwerken geht es sehr schnell um konkrete Karriere-Möglichkeiten: Wer aus diesem Kreis könnte welche Position ideal wahrnehmen? Wer von uns kann wo wie unterstützen? Von Beraterinnen höre ich, dass Frauen in ihren Netzwerken vielfach dazu neigen, die Vereinbarkeit von Kindern und Karriere oder die Work-Life-Balance zu besprechen. Dies sind anekdotische Beobachtungen, und mich interessiert: Ist dies empirisch haltbar? Sowie die Frage, ob diese Themen, wenn sie denn besprochen werden, hilfreich sind für eine emotionale Entlastung, die Bewusstwerdung, dass ich keine Außenseiterposition habe oder andere Dinge.
Zudem gibt es die Beobachtung aufbauend auf dem Homophilie-Effekt – gleich und gleich gesellt sich gern –, dass Männernetzwerke größer sind und mehr Hierarchiestufen in sich vereinen: In unseren Untersuchungen in der Wissenschaft gibt es Doktoranden, die Post-Docs und Professoren in ihren Netzwerken haben. Die Doktorandinnen haben hingegen oft vor allem Frauen auf der gleichen Hierarchiestufe in ihrem Netzwerk, da die Post-Doc- und Professorenstellen von Männern besetzt sind. Die Top-Führungspositionen sind noch längst nicht so zahlreich von Frauen besetzt, die entsprechend unterstützen könnten oder als Rollenvorbild wirken. Besteht hier eine Korrelation, lässt sie Rückschlüsse auf die Wirksamkeit zu oder sind andere Muster bewusst gewählt? Hier könnte die Studie Fragen erhellen.
Vermuten Sie, dass Ihre Studie auch Aufschluss darüber gibt, in welchen Strukturen und Hierarchieformen Frauen lieber und gegebenenfalls effektiver arbeiten würden?
Ja, obwohl wir nicht explizit danach fragen. Es könnte sich aber herausstellen, dass Frauennetzwerke stärker dezentral organisiert sind oder dass sich Frauen in den Netzwerken vielfach über alternative Führungsmodelle austauschen, die sich durch flachere Hierarchien oder Doppelspitzen auszeichnen. Beide Punkte könnten ein Hinweis darauf sein, dass Frauen sich als Gleiche unter Gleichen auch im Arbeitsalltag wohler fühlen. Oft zeigen sich Frauen nicht so wettbewerbsorientiert wie typischerweise Männer.
Ist es aus Ihrer Sicht als Arbeits-, Organisations- und Sozialpsychologin gesamtgesellschaftlich positiv zu werten, dass sich derzeit so viele Frauennetzwerke bilden, oder wären Sie glücklicher, wenn es mehr bewusst gemischte und diverse Netzwerke gäbe?
In der jetzigen Zeit ist es sehr sinnvoll, dass Frauen durch ihre Netzwerke in gewissen Branchen sichtbar werden, sodass bei Medienanfragen, Podiumsbesetzungen oder anderen Veranstaltungen das Argument nicht länger zählt, man hätte keine passende weibliche Expertin finden können.
Perspektivisch bin ich keine Freundin von „Closed Shops“, also Netzwerken, die exklusiv sind und dies auch bleiben wollen. Es wäre wünschenswert, wenn es eine generelle Offenheit für neue Personen gibt und andere Perspektiven in Netzwerken erwünscht sind, weil diese Offenheit Diskussionen belebt und neue Erkenntnisse ermöglicht.
Beobachten Sie noch andere Gruppen, die vermehrt Netzwerke bilden? Sagt dies etwas Spezifisches über unsere Gesellschaft aus?
Netzwerke sind gerade sehr in, weil wir in einer Zeit der Enttraditionalisierung leben. Jeder ist der Gestalter seines eigenen Lebens. Wir leben in einer Multi-Options-Gesellschaft. Die Handlungsmöglichkeiten haben sich in allen Lebensbereichen vervielfältigt. Jede und jeder muss ständig zwischen verschiedenen Optionen wählen. Dies führt zu einem Zustand permanenter Ungewissheit. Netzwerke können stabilisierend wirken und Heimat geben, beruflich wie privat.
Interessant ist auch, dass Organisationen interne Netzwerke unterstützen, weil sie deren Arbeitsweise positiv beeinflussen: Schnittstellen laufen runder und Hierarchieebenen werden überwunden. Zudem wirken sich soziale Beziehungen positiv auf das Speichern von explizitem und implizitem Wissen aus. Deshalb achten Unternehmen oft bereits beim „Onbording-Prozess“ darauf, dass sich die Mitarbeitenden Netzwerke in der Organisation aufbauen und unterstützen dies.
Ja, diese Entwicklung habe ich auch bereits in großen Unternehmen der Kreativwirtschaft wahrgenommen. Dort arbeiten Frauennetzwerke, die vom Vorstand geschätzt und auch konsultiert werden. Noch eine letzte Frage: Haben die Netzwerke, die sich an Ihrer Studie beteiligen, einen besonderen Erkenntnisgewinn?
Ja. Denn wenn sich aus einem Netzwerk mindestens zehn Mitglieder beteiligen, können wir die Zufriedenheit der Menschen in dem Netzwerk bemessen, außerdem welche Erwartungen ihrerseits bestehen, welche Themen dominieren, welche Organisationsformen die Mitglieder besonders schätzen und welche Netzwerkbeziehungen charakteristisch sind. Diese Daten können wir anonymisiert erheben.
Auf diese Weise hat das entsprechende Netzwerk einen Erkenntnisgewinn zu seiner eigenen Wirksamkeit. Diese speziell auf das eigene Netzwerk ausgerichtete Auswertung der Studie tragen wir, wenn gewünscht, den Mitgliedern erklärend vor. Auch unterstützen wir gerne dabei, gemeinsam Folgerungen abzuleiten, die das Netzwerk für die Mitglieder noch attraktiver und wirksamer machen. Ein enger Kontakt zu den Mitwirkenden ist uns sehr wichtig.
Simone Kauffeld ist Professorin für Arbeits-, Organisations- und Sozialpsychologie an der TU Braunschweig. Cornelie Kunkat ist Referentin für Frauen in Kultur und Medien beim Deutschen Kulturrat. Sie berät Simone Kauffeld bei der Studie zur Wirksamkeit von Frauennetzwerken in Kultur und Medien.
Dieser Text ist Teil des Dossiers „Frauen in Führung“. Die einzelnen Beiträge des Dossiers werden durch Illustrationen prägender Frauen aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart begleitet.