Kunstschaffen darf nicht zwangsläufig in prekäre Lebensverhältnisse führen
von Dagmar Schmidt
Wie können Kunstschaffende auch über Krisen hinweg Einkommen erwirtschaften und sozial besser abgesichert werden? Das ist nicht erst seit der Pandemie eine wichtige Frage an Politik und Zivilgesellschaft. Aufschlussreiche Aussagen bieten die Umfrageergebnisse der druckfrischen Expertise des Bundesverbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK) »Von der Kunst zu leben. Die wirtschaftliche und soziale Situation Bildender Künstler*innen«. Kunst und Kunstschaffenden wird – gerade auch aktuell – zwar viel Respekt entgegengebracht. Die Kunstfreiheit wird aber mit mehrheitlich prekären Lebensverhältnissen der Kunstschaffenden erkauft.
Aktuelle branchenspezifische Statistiken des BBK, des Deutschen Kulturrates, des Bundesamtes für Statistik zeichnen erneut ein düsteres Bild vom wirtschaftlichen Auskommen der Mehrzahl der Bildenden Künstlerinnen und Künstler. Hybride Beschäftigungssituationen sind die Regel: viele verschiedene Auftraggebende, verschiedenartige Einkommensquellen, kurzfristige Anstellungen, die die Selbständigkeit unterbrechen, Neben- und Brotjobs. Dies hat Auswirkungen auf die Absicherung in Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung. Die Höhe des Einkommens aus selbständiger, künstlerischer Tätigkeit schwankt stark im Jahresverlauf, wie Eckhard Priller in der aktuellen BBK-Expertise feststellt. Aber auch vom Wohnsitz hängt die Höhe der Einnahmen ab: Künstlerinnen und Künstler in Hamburg und Nordrhein-Westfalen erzielen durchschnittlich die höchsten Einkommen, wie die Studie des Deutschen Kulturrates »Frauen und Männer im Kulturmarkt: Bericht zur wirtschaftlichen und sozialen Lage« (2020) zeigt.
Neben Einnahmen aus dem Verkauf von Kunstwerken, durch Honorare, Stipendien, Projektförderungen, Auftragsarbeiten oder Kunst am Bau gibt jeder Zweite in der BBK-Umfrage 2020 als wichtige weitere Erwerbsquelle eine Tätigkeit in der künstlerischen Lehre an. Jeder Fünfte erzielt auch Einnahmen jenseits der Kunst. In den Bedarfsgemeinschaften, in denen selbständige Künstlerinnen und Künstler leben, scheinen andere Haushaltsmitglieder das niedrige Einkommen durch ihre Einkünfte zu kompensieren. Die Einkommen der Künstlerinnen fallen noch 20 bis 40 Prozent niedriger aus als die der Künstler. Der Gender Pay Gap wird interessanterweise kleiner, wenn weniger verdient wird, und steigt, wenn mehr Einnahmen aus Kunst erzielt werden. Die geringeren Preise für Kunst von Frauen korrelieren mit der geringeren Zahl an Ausstellungen.
Es sind vor allem die Kommunen, die Kunst fördern. Doch auch hier lässt Corona deren Einnahmen aus Gewerbe- und Grundsteuer sowie die Zuweisungen der Länder sinken. Deshalb müssen Kunst und Kultur – in der Krise als existenziell notwendig wahrgenommen – als verpflichtende Daseinsvorsorge abgesichert werden, um damit die kulturelle Infrastruktur und die Kunstschaffenden krisensicherer zu machen.
Mit zeitgenössischer Kunst werden schnell exorbitante Summen in Auktionshäusern und global agierende Kunstgalerien assoziiert. Auf diesem Level profitiert jeder hundertste Kunstschaffende. Bei den meisten aber kommen nur niedrige Honorare an, und manche Preisgestaltung für Kunstwerke reicht nicht zum Leben. Viele Leistungen Bildender Künstlerinnen und Künstler werden jedenfalls selten oder zumeist nur geringfügig vergütet, so z. B. für Ausstellungstätigkeiten. Ein Hauptaugenmerk müssen Kunstschaffende auf das Präsentieren ihrer künstlerischen Werke richten, um ihre künstlerische Position bekannt zu machen, in den Diskurs einzuspeisen. Ausstellungen erfordern die Entwicklung aufwendiger passgenauer Konzepte. Doch leider wird dies und das »Zur Verfügung-Stellen« von Kunstwerken zu Ausstellungszwecken nur selten vergütet, nicht in Museen, Kunstvereinen und nicht kommerziellen Galerien, aber auch nicht in Arztpraxen, Anwaltskanzleien und Restaurants, die sich häufig als Kunstunterstützende verstehen. Diese Haushaltsposition fehlt schlicht in vielen Budgets und müsste in vielen Förderrichtlinien erst verankert werden. Künstlerverbände wie der BBK fordern seit vielen Jahren, diese Gerechtigkeitslücke im Urheberrecht endlich zu schließen. Bis dafür eine politische Mehrheit existiert, sollte zumindest in allen öffentlich geförderten Ausstellungen die Zahlung von Ausstellungsvergütung verpflichtend sein, die Ausstellungshäuser sollten finanziell entsprechend ausgestattet werden.
Für die Zukunft bedeutsam ist auch die Monetarisierung der Nutzung von Werken im Netz. Die Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie in deutsches Recht wird in hoffentlich naher Zukunft urheberfreundliche Weichen auch für den digitalen Raum stellen. Ein kulturfreundliches Steuerrecht würde positive Wirkung für den Kunstmarkt haben: Instrumente könnten hier z. B. ein wieder eingeführter, ermäßigter Steuersatz auf alle Kunstkäufe – auch über Galerien – oder ein Steuerfreibetrag bis 20.000 Euro für Kunsteinkäufe auch von Privaten sein. Eine berufsgerechte Einbeziehung freiberuflicher Künstlerinnen und Künstler in die Arbeitslosen- bzw. besser Einkommenslosenversicherung für Selbständige wäre machbar. Zu Recht diskutiert werden auch Bürgergeld, bedingungsloses Grundeinkommen und andere Modelle.
In der Krise zeigt sich der Bedarf nach einer Kompensation nach Art des Kurzarbeitergelds für abhängig Beschäftigte. Hier muss endlich den spezifischen Bedingungen von Soloselbständigen, wie es Bildende Künstlerinnen und Künstler zumeist sind, Rechnung getragen werden: Sie müssen existieren – wohnen, essen, leben, um Kunst schaffen zu können. Ob das Kind dann Unternehmerlohn, Betriebskostenzuschuss oder sonst wie genannt wird, ist uns dabei ziemlich egal.
Die Kunst spielt eine unverzichtbare Rolle in einer demokratischen Gesellschaft. Kunstschaffen darf nicht zwangsläufig in prekäre Lebensverhältnisse und Altersarmut führen. Der wertschätzende Beifall sollte sich daher in einer respektablen Lebensgrundlage auch für Künstlerinnen und Künstler abbilden.
Dagmar Schmidt ist Bildende Künstlerin und Sprecherin des Bundesverbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK)
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2020-01/2021