Neue Daten zum Arbeitsmarkt Kultur und Medien in Corona-Zeiten
Von Olaf Zimmermann und Gabriele Schulz
E nde Juni 2020 erschien beim Deutschen Kulturrat unsere dritte umfassende Untersuchung zum Arbeitsmarkt Kultur und Medien: Frauen und Männer im Kulturmarkt. Die Untersuchung kam, wie wir hoffen, genau zur rechten Zeit. Denn dieser Tage ist wegen der Corona-Krise viel die Rede von der prekären Arbeit im Kultur- und Medienbereich, von Kurzarbeit, von Künstlerinnen und Künstlern, die um das Überleben ihrer künstlerischen Existenz kämpfen.
In unserer Studie „Frauen und Männer im Kulturmarkt“ wird für die Jahre 2013 bis 2019 aufgezeigt, wie viele junge Frauen und Männer eine Ausbildung für einen Kulturberuf absolvieren und wie viele ein „Kulturfach“ studieren. Bereits hier in der Ausbildung ist die geschlechtsspezifische Segregation unverkennbar. Als Erstes kann festgehalten werden: Kultur- und Medienberufe sind in grosso modo „Frauenberufe“ bis auf … die technischen Berufe. Bei den technischen Ausbildungsberufen, also Mediengestalter Bild/Ton, Fachkraft für Veranstaltungstechnik oder auch Studiengängen wie Tonmeister, haben Männer die Nase vorn. Anders sieht es bei den kaufmännischen Berufen wie Buchhändlerin oder Medienkauffrau Digital/Print oder Studiengängen wie Tanzpädagogik oder Textilgestaltung aus. Eigentlich sind es Klischees, die sich in der Ausbildungswahl niederschlagen, die Männer für die Technik und die Frauen für die Schönheit.
Auch wenn jedem unbenommen ist, seine eigene Berufswahl zu treffen und jede den Weg einschlagen sollte, der zu ihr am besten passt, ist nicht von der Hand zu weisen, dass ein Teil von Geschlechtergerechtigkeit auch darin besteht, dass Frauen und Männer gleichermaßen – im Idealfall sogar ausgewogen – den Pool an potenziellen Erwerbstätigen stellen.
Wird die Zahl der Studierenden betrachtet, wird deutlich, dass sehr viele ein Fach studieren, mit dem auf den Arbeitsmarkt Kultur abgezielt wird, das aber nicht unbedingt mit eigener künstlerischer Tätigkeit verbunden ist. Oder um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Von den rund 26.000 Studierenden im Fach Bildende Kunst wollen 3.000 Künstlerin oder Künstler werden, und 23.000 setzen sich mit Bildender Kunst auseinander oder vermitteln sie. Ähnliches gilt für andere Kunstformen. D.h., wenn über den Arbeitsmarkt Kultur gesprochen wird, sind die Künstlerinnen und Künstler nur ein kleiner Teil der Erwerbstätigen. Ein sehr großer Teil der Erwerbstätigen vermittelt, verkauft, analysiert, vermarktet usw. Kunst und Kultur.
Daraus folgt, dass es nicht ausreicht, über Künstlerinnen und Künstler zu sprechen, wenn vom Arbeitsmarkt Kultur und Medien die Rede ist. Es geht vielmehr darum, die gesamte Breite an Erwerbstätigen in den Blick zu nehmen. Dazu zählt auch, dass wir uns in der Studie den abhängig Beschäftigten gewidmet haben. Rund 572.284 Personen waren im Jahr 2019 in Kultur- und Medienberufen tätig, das waren 59.373 mehr als noch im Jahr 2015. Dieser Beschäftigungsaufwuchs ist unter anderem auf die außerschulische Lehrtätigkeit zurückzuführen. Hier sind 2019 rund 15.000 mehr Angestellte tätig, als es 2015 der Fall war. Leider geben die genutzten Daten der Bundesagentur für Arbeit keine Auskunft darüber, ob es sich bei den Beschäftigten um unbefristet Beschäftigte oder solche mit Zeitvertrag handelt.
Ein Merkmal sticht hervor: Die Akademisierung nimmt bei den abhängig Beschäftigten in Kultur- und Medienberufen zu. Selbst in Tätigkeitsbereichen, bei denen eine zwei- bis dreijährige Ausbildung vorausgesetzt wird, sind viele Akademikerinnen und Akademiker tätig. Sie verdienen allerdings nicht wie Akademikerinnen und Akademiker, sondern, so wie es dem Anforderungsniveau ihrer Arbeit entspricht, wie Erwerbstätige mit einer Ausbildung. Es könnte auch gesagt werden, dass viele unterhalb ihrer Qualifikation arbeiten und damit auch nicht das Einkommen erreichen, das mit einer akademischen Ausbildung wahrscheinlich angestrebt wurde.
Apropos Einkommen. Bei den abhängig Beschäftigten werden vier Anforderungsniveaus unterschieden:
- Helfer, sie spielen bei den Kulturberufen eine so geringe Rolle, dass sie statistisch keine Relevanz haben
- Fachkräfte, sie haben eine zwei- bis dreijährige Ausbildung, hier wird in sieben Berufsgruppen im Kulturbereich mehr verdient als bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten allgemein
- Spezialisten, sie haben eine Weiterqualifizierung zur Meisterin oder Fachwirt oder einen Bachelor-Abschluss, hier wird in drei Berufsgruppen des Kultur- und Medienbereiches mehr verdient als bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten allgemein
- Experten, sie haben ein mindestens vierjähriges Studium mit einem Master- oder vergleichbaren Abschluss absolviert, hier wird in zwei Berufsgruppen des Kultur- und Medienbereiches mehr verdient als bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten allgemein
D.h., auch abhängig Beschäftigte in Kultur- und Medienberufen verdienen oft weniger als Angehörige anderer Berufe. Hinzukommt ein Gender Pay Gap. Er lässt sich mangels Datenlage nicht für alle Berufe nachvollziehen. Festgehalten werden kann allerdings, dass Frauen sehr oft weniger als Männer verdienen. Einen Spitzenwert nehmen dabei Berufe im Produktdesign ein – mit einem Gender Pay Gap im Anforderungsniveau Experten. Hingegen ist in anderen Berufen wie unter anderem auch in der Kamera- und Tontechnik nur ein vergleichsweise geringer Gender Pay Gap zu verzeichnen. D.h., den wenigen Frauen, die hier tätig sind, gereicht es offenbar nicht zu einem Nachteil, dass sie sich für einen Männerberuf entschieden haben. Der Gender Pay Gap beträgt hier nur sechs Prozent.
Gewidmet wurde sich auch einer besonderen Gruppe an Selbständigen, den sogenannten Mini-Selbständigen. Hierfür wurden Daten des Monitoringberichts Kultur- und Kreativwirtschaft genutzt. Unter Mini-Selbständigen werden Selbständige verstanden, deren Umsatz geringer als 17.500 Euro im Jahr ist. In der Kultur- und Kreativwirtschaft gibt es im Jahr 2018 417.361 Mini-Selbständige, ihnen stehen 300.745 Selbständige gegenüber. D.h., der größere Teil an Selbständigen in der Kultur- und Kreativwirtschaft hat nur einen sehr geringen Umsatz und ein geringes Einkommen. Es ist anzunehmen, dass unter den 417.361 Mini-Selbständigen viele selbständige Künstlerinnen und Künstler zu finden sind.
Sehr viel genauer zur Einkommenssituation selbständiger Künstlerinnen und Künstler geben die Daten der Künstlersozialversicherung Auskunft. Hier ist als Erstes festzuhalten, dass im Vergleich zum Jahr 2013 die Zahl der Versicherten gesunken ist. Das ist vor allem auf die Versicherten der Berufsgruppe Wort zurückzuführen, hier sind 2019 4.855 Versicherte weniger verzeichnet, als es 2013 der Fall war. Dieser Rückgang ist vor allem auf sinkende Versichertenzahlen im Tätigkeitsbereich Redaktion/Journalismus zurückzuführen. Auch in der Berufsgruppe Bildende Kunst ist die Zahl der Versicherten gesunken, hingegen ist in den Berufsgruppen Musik und Darstellende Kunst ein deutlicher Aufwuchs erkennbar. Das gilt insbesondere für die Berufsgruppe Darstellende Kunst. An sich ist hier die abhängige Beschäftigung vorherrschend. Die Zunahme an Selbständigen ist ein Indikator für die Veränderung der Arbeitsmarktes Darstellende Kunst.
Die meisten Versicherten leben in Berlin. Insgesamt 38.535 Versicherte haben im Jahr 2019 in Berlin ihr Zuhause. Demgegenüber sind im in Bezug auf die Fläche und die Einwohnerzahl deutlich größeren Nordrhein-Westfalen 34.243 Versicherte zu zählen. Die wenigsten Versicherten weist mit 1.074 das Saarland auf.
Werden die Durchschnittseinkommen zusätzlich in die Betrachtung einbezogen, ist ein Problem unverkennbar. Am meisten verdienen Künstlerinnen und Künstler, die in Hamburg leben. Das Durchschnittseinkommen liegt bei 20.884 Euro im Jahr, gefolgt von Nordrhein-Westfalen mit 19.337 Euro. Am wenigsten wird in den ostdeutschen Flächenländern und in Berlin verdient. Künstlerinnen und Künstler, die in West-Berlin leben, haben ein Durchschnittseinkommen von 15.892 Euro, und Künstlerinnen und Künstler in Ost-Berlin von 17.259 Euro. Nur in den ostdeutschen Ländern Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen wird ein geringeres Einkommen erzielt.
Das legt den Schluss nahe, dass die große Zahl an Künstlerinnen und Künstlern in Berlin zu einer Kannibalisierung führt. Auch wenn das Land unterschiedliche Anstrengungen unternimmt, um die Freie Szene zu stärken, sind es wahrscheinlich einfach zu viele, damit sie mit Blick auf das Durchschnittseinkommen an westdeutsche Flächenländer anschließen können.
In so gut wie allen Tätigkeitsbereichen und Ländern gibt es einen Gender Pay Gap. Künstlerinnen erzielen ein geringeres Einkommen als Künstler. Nach wie vor kaum geändert hat sich, dass dieser Einkommensunterschied bereits in der Altersgruppe unter 30 Jahren anzutreffen ist – mit Ausnahme der Berufsgruppe Wort. Hier verdienen die unter 30-jährigen Frauen etwas mehr als die Männer. Hier zeigt sich, es besteht nach wie vor Handlungsbedarf, um die Geschlechtergerechtigkeit zu verbessern.
Bemerkenswert ist ferner, dass mit Ausnahme der Berufsgruppe Darstellende Kunst der Anteil der älteren Alterskohorten zunimmt. Im Saarland und in Schleswig-Holstein stellen die Versicherten, die 50 Jahre und älter sind, bereits mit mehr als 60 Prozent die Mehrzahl der Versicherten.
Mit Blick auf die Corona-Pandemie bieten die Daten Aufschluss über die prekäre Situation, in der viele Künstlerinnen und Künstler auch schon vorher gelebt haben. Sie zeigen zugleich auf, in welchen Bereichen zuvor sich ein Fachkräftemangel abzeichnete und welche vielfältigen Möglichkeiten der Arbeitsmarkt Kultur und Medien bietet.
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates.
Gabriele Schulz ist Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 07–08/20.