Die Charta der Vielfalt regt zum Umdenken an
Franzi von Kempis
Vielfalt braucht Demokratie und Demokratie lebt von Vielfalt. In Zeiten, in denen diese Grundsätze auf dem Prüfstand stehen, wird eine entscheidende Frage immer lauter: Wer übernimmt die Verantwortung, sich für sie einzusetzen? Gerade am Arbeitsplatz ist dies eine wichtige Frage – denn wo sonst treffen Menschen mit so unterschiedlichen Hintergründen, Lebensentwürfen und Erfahrungen aufeinander? Aktuell arbeiten in Deutschland fünf Generationen zusammen. Davon werden allein in den kommenden zehn Jahren voraussichtlich 7,3 Millionen Arbeitnehmende in Rente gehen. Der akute Arbeitskräftemangel sorgt dafür, dass Arbeitgebende sich in Zukunft noch stärker mit ihren eigenen Vorurteilen im Recruiting auseinandersetzen müssen, um qualifizierte Mitarbeitende zu finden. Der Begriff „Vielfalt“ ist darum in vielen Unternehmen präsent – ein diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld für alle Beschäftigten ist aber längst nicht selbstverständlich. Auch weil oft Wissen und Ideen fehlen, wie positive Veränderung im Arbeitsalltag angeschoben werden kann. Hier setzt der Verein Charta der Vielfalt an: Als bundesweit größte Arbeitgebendeninitiative für Vielfalt liefert der Verein Informationen, Projekte und Handlungsmaßnahmen, um den Einsatz für Vielfalt in der Arbeitswelt zu fördern. Alle Mitarbeitenden sollen Wertschätzung erfahren – unabhängig von Alter, ethnischer Herkunft und Nationalität, Geschlecht und geschlechtlicher Identität, körperlichen und geistigen Fähigkeiten, Religion und Weltanschauung, sexueller Orientierung und sozialer Herkunft. Das Herzstück der Initiative ist eine Urkunde, die Charta der Vielfalt. Sie ist eine Selbstverpflichtung der Unterzeichnenden, Vielfalt und Wertschätzung in der Arbeitswelt zu fördern. Bislang haben mehr als 5.000 Organisationen deutschlandweit die Urkunde unterzeichnet.
Wer auf vielfältige Belegschaften setzt, legt einen wichtigen Grundstein für die Zukunftsfähigkeit des eigenen Unternehmens. Diversity Management bedeutet, die Vielfalt der eigenen Mitarbeitenden nicht nur zu erkennen, sondern auch als besondere Stärken wertzuschätzen. Und der Einsatz für Diversity macht sich bezahlt: 94 Prozent der Befragten einer PageGroup-Studie (2021) gaben an, das Thema Diversity Management sei wichtig für den weltweiten Unternehmenserfolg. Neben Personalgewinnung und -bindung gehe es auch darum, Kosten von Fehlzeiten oder Fluktuation zu minimieren. Zahlreiche Studien belegen zudem, dass divers zusammengesetzte Teams kreativere Ideen und Lösungen entwickeln. Sie bringen unterschiedliche Sichtweisen ein, die oft schneller zu Ergebnissen und innovativen Produkten führen. Auch im Marketing zeigen sich die positiven Effekte, denn vielfältige Belegschaften können sich besser auf unterschiedliche Zielgruppen und internationale Märkte einstellen.
Diese Vorteile lassen sich auch auf den Kultursektor übertragen. Fragen Sie sich: Wie schaffen wir eine Arbeitsumgebung, in der unsere Beschäftigten ihr volles Potenzial ausleben können? Welche Bedürfnisse gibt es in der Belegschaft und wer ist für ihre Anliegen ansprechbar? Wie kann Vielfalt strukturell und nachhaltig im Arbeitskontext mitgedacht werden? Wie so oft ist auch hier am wichtigsten, einen Anfang zu finden und dranzubleiben. Eine Möglichkeit, um ins Handeln zu kommen, ist die Teilnahme am Deutschen Diversity-Tag am 28. Mai. Dieses Projekt des Charta der Vielfalt e. V. bietet den Rahmen und viele Ideen für erste eigene Aktionen, um sich nach innen und nach außen dem Thema zu nähern. Jährlich zeigen dabei Hunderte Organisationen, was Vielfalt für sie bedeutet. Unter dem diesjährigen Motto „Stimme Für Vielfalt“ geht es um nichts weniger als ein klares Zeichen für die Relevanz von Vielfalt in unserer Demokratie.
Der Einsatz zahlreicher Organisationen in Deutschland macht deutlich: Diversity Management lohnt sich. Flexibilität und Offenheit sind Erfolgsfaktoren, mit deren Hilfe Unternehmen auf Veränderungsdruck durch gesellschaftlichen Wandel und globale Trends reagieren. Reden wir über Verantwortung, zeigt sich: Arbeitgebende sind nicht nur Wirtschaftsakteure, sondern auch ein Teil der Gesellschaft. In Anbetracht der aktuellen gesellschaftlichen Spannungen leisten sie gerade jetzt einen wichtigen Beitrag, indem sie Stellung beziehen und sich für diese Vielfalt einsetzen. Denn auch das ist Diversity Management.
Franzi von Kempis ist Geschäftsführerin des Charta der Vielfalt e. V., Journalistin und Autorin.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/24.