Das Schutzkonzept des Verbands deutscher Musikschulen
Britta Renes
Im Jahr 2023 hat der Verband deutscher Musikschulen e. V. (VdM) eine Arbeitshilfe und Materialsammlung zum Thema „Schutzkonzepterstellung und Gewaltprävention“ unter dem Titel „Musikschule – ein sicherer Ort“ veröffentlicht. Hiermit bietet der VdM bundesweit seinen Mitgliedsschulen Unterstützung bei der Erarbeitung von Gewaltschutzkonzepten an.
Kinder und Jugendliche sind alltäglich direkt oder indirekt mit Gewalt konfrontiert. Für die Lebenswelten junger Menschen sind diese Erfahrungen omnipräsent. Dabei existieren unterschiedliche Ebenen und Formen von Gewalt sowohl an Schulen als auch im außerschulischen Bildungskontext.
Neben Mobbing und Diskriminierung sind auch Formen der sexualisierten Gewalt ein präsenter Teil in den Realitäten von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Durch die Verschmelzung von analogen und digitalen Lebenswelten haben sich bestimmte Gewaltphänomene geändert und vor allem verstärkt. Seit 2019 stiegen Fälle von sexualisierter Gewalt im digitalen Lebensraum an Kindern und Jugendlichen um 65 Prozent an. Zwei Drittel der Betroffenen von sexualisierter Gewalt sind Menschen, die weiblich gelesen werden.
Gewalt ist ein vielschichtiges und komplexes Phänomen, somit gelten hohe Anforderungen an Maßnahmen zur Gewaltprävention in Bildungseinrichtungen. „Musikschulen haben als System zu lernen und zu verinnerlichen, wie Kinder und Jugendliche in ihren Strukturen und Wirkungskontexten zu schützen sind, wie Prävention und Intervention durch Schutzkonzepte zu implementieren sind, wie Personal zu sensibilisieren und zu schulen ist und wie im Interventionsfall rechtssicher vorzugehen ist“, so beschreibt Friedrich-Koh Dolge, Bundesvorsitzender des VdM, die Verantwortung und Verpflichtung von Musikschulen im Grußwort der Arbeitshilfe.
Eine Grundlage für Gewaltprävention an Musikschulen ist die Erarbeitung eines Schutzkonzeptes. Die Arbeitshilfe des VdM bietet eine Unterstützung darin, den Prozess einer Schutzkonzepterstellung im Musikschulteam zu beginnen. Ein institutionelles und partizipatives Schutzkonzept ist ein strukturiertes und umfassendes Maßnahmenpaket, um Gewalt in verschiedenen Kontexten zu verhindern, zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Das Gewaltschutzkonzept ist ein Zusammenspiel aus Analyse, strukturellen Veränderungen, Vereinbarungen und gewaltfreier Kommunikation und baut auf einer gemeinsamen Haltung und Kultur einer Organisation auf. Ein Schutzkonzept enthält in der Regel die folgenden Bausteine: Leitbild, Verhaltenskodex, Fortbildungen, Aspekte zur Personalverantwortung, Ermöglichung von Partizipation von Kindern und Jugendlichen, Präventionsangebote, Beschwerdeverfahren, Notfallpläne für Lehrkräfte und Leitungskräfte und Hinweise zur Kooperation mit externen Fachberatungen. Diese einzelnen Themen werden in der VdM-Arbeitshilfe ausführlich beschrieben. Die individuelle Erarbeitung eines Schutzkonzeptes ist ein mehrjähriger Prozess in der Musikschule und muss fortwährend aktualisiert werden. Die Bemühungen um einen funktionierenden Gewaltschutz in der Institution können demnach nie abgeschlossen sein.
Wenn bei diesen hier aufgezeigten Perspektiven und Handlungsprinzipien – die im Übrigen ja fast kongruent mit den Konstituenten einer gelingenden Pädagogik sind – die Relationen zwischen Lehrkräften sowie Schülerinnen und Schülern im Fokus von Schutzkonzepten von Musikschulen stehen, so darf hier nicht vergessen werden, dass die Musikschulen auch in gesamtkommunale Schutzkonzepte eingebunden sind.
Eine Organisationskultur, die explizit auf die Bedürfnisse, das Wohlbefinden und den Schutz von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ausgerichtet ist, kann als „Kultur der Achtsamkeit“ beschrieben werden. Dazu zählen verschiedene Elemente wie u. a. eine positive Fehlerkultur, eine Beteiligungskultur oder die Wahrung von Menschen- bzw. Kinderrechten.
Eine positive Fehlerkultur beschreibt konkret eine Atmosphäre, in der Fehler als ein Zusammenspiel von organisationalen Strukturen und menschlichem Handeln betrachtet werden und Risiken identifiziert werden, die Fehler im System begünstigen. In dieser Kultur fühlen sich alle Beteiligten ermutigt, Fehler offen anzusprechen, zu analysieren und als Lernmöglichkeit zu nutzen, und dies ohne Angst vor negativen Konsequenzen. Insgesamt fördert eine positive Fehlerkultur Vertrauen, Offenheit und eine kontinuierliche Verbesserung innerhalb der Einrichtung.
Mit Beteiligungskultur ist gemeint, dass besonders Kinder und Jugendliche ein Recht darauf haben, befähigt zu werden, sich selbstbewusst mit Erwachsenen auseinanderzusetzen und auch Beschwerden zu formulieren. Kinder und Jugendliche müssen darin unterstützt werden, eigene Handlungsmöglichkeiten zu erkennen und eigene sowie fremde Bedürfnisse und Grenzen artikulieren zu können. Die Menschenrechte und insbesondere die Kinderrechte bilden einen Referenzrahmen für pädagogische Arbeit. Dabei muss im System Musikschule beachtet werden, dass „Rechte haben“ nicht automatisch „Rechte umsetzen“ bedeutet. Daher müssen Lehrkräfte in Musikschulen dabei unterstützen, Kinder und Jugendliche über ihre eigenen Rechte zu informieren, ihnen Rechte einräumen und dabei helfen, diese ausüben zu können. Darüber hinaus spielen die Entwicklung von Konfliktlösungsmaßnahmen, eine Gemeinschaftsbildung, ein Diversitätsbewusstsein und eine diskriminierungs- und machtkritische Haltung, aber auch Stressbewältigung und Selbstfürsorge eine bedeutende Rolle für eine „Kultur der Achtsamkeit“.
Die VdM-Arbeitshilfe möchte durch theoretische Bezüge, eine umfassende Methodensammlung, Literaturempfehlungen sowie Kontaktadressen zu Fachberatungsstellen Handlungsoptionen für Lehr- und Leitungskräfte, aber auch für Schülerinnen und Schüler aufzeigen, durch die eigene Haltung und das eigene Handeln konsequent ein angstfreies, wertschätzendes und friedvolles Miteinander, gute Kommunikationsstrukturen und demokratische Prozesse an Musikschulen zu implementieren.
Es ist notwendig, ein Bewusstsein für Gewaltschutz stets lebendig zu halten, sich untereinander auszutauschen und Wege zu finden, sich dem herausfordernden Thema anzunähern. Sich nicht dem Thema zu stellen, wäre dagegen der beste Nährboden für alle Gewaltformen.
Britta Renes ist Referentin für die Bereiche Fortbildungen, Inklusion und Gewaltprävention im Verband deutscher Musikschulen.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/24.