Ursula Theißen im Gespräch mit Katharina Pfannkuch
Seit 1991 fördert das Frauenkulturbüro NRW Künstlerinnen und Frauen im Kulturbetrieb. Gegründet auf Initiative von Brigitte Speth, der damaligen Frauenpolitischen Sprecherin der SPD-Fraktion im Landtag NRW, ist das Frauenkulturbüro einer der Pioniere unter den Akteuren, deren Anliegen die Sache der Frauen in der Kunst ist. Die mit Landesmitteln geförderte Institution kooperiert immer wieder mit Frauennetzwerken. Schließlich ist spartenspezifische Expertise das wesentliche Werkzeug für die Umsetzung der Projekte des Frauenkulturbüros NRW, erklärt dessen Geschäftsführerin Ursula Theißen im Interview mit Katharina Pfannkuch.
Frau Theißen, das Frauenkulturbüro NRW wurde vor 32 Jahren gegründet. Ist es heute so nötig wie damals?
Ein klares Ja! Die Zahlen sind dank der Studien des Deutschen Kulturrates bekannt. Wir wissen um die prekäre Lebens- und Arbeitssituation der Künstler*innen, die sich mit zunehmendem Alter noch verschärft. Wir wissen um die strukturelle Benachteiligung; der Gender-Pay-Gap liegt im Kulturbereich bei 30 Prozent, auch den Gender-Show-Gap gibt es noch immer. Und wir wissen, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht gegeben ist. Künstlerinnen erfahren als Mütter nach wie vor Ausgrenzungsmechanismen, etwa durch Galerist*innen oder Produzent*innen, die sich mit dem Argument der künstlerischen Unvereinbarkeit von Kunst und Familie von ihnen trennen. Es gibt Machtmissbrauch, Diskriminierung und sexuelle Übergriffe. Wir haben noch sehr viel zu tun.
Was sind heute Ihre wichtigsten Anliegen?
Wir nehmen verstärkt Transformationsprozesse und Ideen für konkrete geschlechtergerechte Partizipation in den Fokus. Zurzeit arbeiten wir an einem Modellprojekt zu „Familienvereinbarkeit an Theatern“. Mit dem Kulturpolitischen Institut der Universität Hildesheim und den Theatern Oberhausen und Münster haben wir eine Studie zur Familienvereinbarkeit initiiert. Die Ergebnisse unseres Symposiums „Familienvereinbarkeit in den Performing Arts“ am Theater Oberhausen werden in der Studie zu einer Change-Management-Vision aufgeführt, um dann in den Modellhäusern implementiert zu werden.
Gibt es auch Bereiche im Kulturbetrieb, in denen sich die Lage von Frauen verbessert hat?
Dort, wo Gleichstellungsgesetze greifen, hat sich die Situation von Frauen verbessert, vor allem in Behörden besetzen sie Führungspositionen und profitieren von Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Eltern- und Gleitzeiten, Teilzeitangebote, Doppelspitzen, Lohngleichheit, die Möglichkeit zu Sabbaticals. Im Bereich der soloselbstständigen Künstlerinnen greifen all diese Maßnahmen aber nicht.
Sind Führungspositionen in Museen und Theatern heute ausgeglichener besetzt?
Sicher sind heute hochqualifizierte Frauen als Intendantinnen oder Museumsleiterinnen sichtbar. Aber in der aktuellen Phase knapper Budgets werden für diese Positionen wieder Männer bevorzugt. Ein Grund ist die historisch gewachsene „unconscious bias“: Bei Männern wird mehr Durchsetzungskraft für harte Entscheidungen vermutet – die umso nötiger ist, je mehr gespart werden muss. Da greifen nach wie vor tradierte Klischees und Vorurteile.
Eines Ihrer Projekte heißt „Dirigentinnen am Pulte“. Kürzlich spielte Cate Blanchett in „Tar“ eine Dirigentin, die zunächst mit vermeintlich männlichen, moralisch fragwürdigen Verhaltens weisen sehr weit kommt. Müssen Frauen wie Männer agieren, um sich durchzusetzen?
Nein, das geht nach hinten los. Zudem ist „Tar“ eine Ohrfeige für alle Dirigentinnen, so der Kommentar einer Dirigentin zum Film. Er handelt von Autoritätsmissbrauch, zeigt also das Gegenteil eines Vorbilds. Wir sind in einer Zeit des Umbruchs. Machtmissbrauch wird aufgedeckt und nicht mehr geduldet. Im November erscheint unsere Publikation „Fokus: Dirigent*innen: Warum die klassische Musik fundierte Machtkritik braucht“. Darin hinterfragen Gesprächspartner*innen und Essayist*innen die mangelnde Gendergerechtigkeit soziologisch, philosophisch und historisch und suchen nach Ideen für die Umsetzung der Vision eines gerechten Musiklebens. Dadurch, dass Frauen im Kulturbetrieb heute präsenter sind, wird deutlich, dass es mehr gibt als einen männlichen Führungsstil.
Welche Strategien haben sich in Ihrer Arbeit im Frauenkulturbüro bewährt?
Da wir nur 2,25 Personalstellen haben, ist unsere wichtigste Strategie, in Kompetenzpartnerschaften zusammenzuarbeiten. Projekte schieben wir mit Kunst- und Kulturinstitutionen an. Um auf Augenhöhe kooperieren zu können, benötigen wir die Zuarbeit von Expert*innen, die wir über Honorarverträge beschäftigen. Auch Runde Tische mit Stakeholdern aus einzelnen Sparten zur gemeinsamen Formulierung von Maßnahmen und Empfehlungen zur Geschlechtergerechtigkeit bewähren sich seit Jahren.
Kooperieren Sie auch mit Frauennetzwerken im Kulturbetrieb?
Wir pflegen ein freundschaftliches Verhältnis zu Frauennetzwerken. In den 25 Jahren Organisation des Künstlerinnenpreises NRW haben wir mit allen nordrhein-westfälischen Frauennetzwerken kooperiert, aber auch mit vielen anderen Partner*innen, je nach Sparte.
Ihr Vorstand ist rein weiblich besetzt, im Beirat sind auch Männer vertreten. Sind reine Frauen netzwerke oder gemischte aus Ihrer Erfahrung erfolgreicher?
Es kommt darauf an, wie Sie Erfolg messen – geht es um ehrenamtliches Engagement, um Empowerment, um Mittelakquise? Die Kunst des Vernetzens geht einher mit persönlichen Entscheidungen darüber, was ich mir von einer Vernetzung verspreche und was ich bereit bin, einzubringen. Das Frauenkulturbüro hat den Auftrag, sich für Frauen* in Kunst und Kultur einzusetzen. Das adressiert weiblich gelesene Personen, schließt aber männlich gelesene, die dieses Ziel auch unterstützen, nicht aus. Im Gegenteil!
Können sich junge Frauen im Kulturbetrieb mit der Idee der Frauenförderung identifizieren?
Mein Eindruck ist, dass heute das Selbstbewusstsein junger Frauen durch Mädchenprojekte und Empowerment an Schulen und in Freizeiteinrichtungen gestärkt ist. Sie gehen auch bewusster mit ihren eigenen Ressourcen um. Durch die MeToo-Debatte entstand ein neues Gefühl der Solidarität untereinander, auch Männer haben dadurch ein sensibleres Bewusstsein für Machtmissbrauch. Das kommt Frauennetzwerken zugute, aber auch Netzwerken, die weniger auf dem Frau-Sein als auf einer gemeinsam verfolgten Sache basieren.
Wie zeitgemäß sind Frauennetzwerke und Frauenförderung in einer Zeit, in der gerade junge Menschen binäre Geschlechterkonstruktionen hinterfragen?
Das Hinterfragen klassischer Geschlechterkonstruktionen ist notwendig im Bereich Diversität und Teilhabe. Aber unabhängig von geschlechtlicher Zuordnung, Ethnie oder Religion benötigen wir in der öffentlichen Förderung große Gruppen, um dort einzugreifen, wo Defizite auszugleichen sind: Frauen, Kinder, Jugendliche, Senioren etc. Hier macht es wenig Sinn, für alle kleineren marginalisierten Gruppen eigene Programme zu fahren. Sie sind ein Teil des großen Ganzen. Wir haben uns entschieden, unsere Förderungen und Themen auf weiblich gelesene Personen auszuweiten. Im Vordergrund steht jedoch immer die künstlerische Leistung, wenn es etwa um die Vergabe von Stipendien für Künstlerinnen mit Kindern geht.
Was ist unter den „Präsenz vor Ort“ Stipendien für Künstlerinnen mit Kindern zu verstehen?
Seit 1996 bekommen ausgewählte nordrhein-westfälische Künstlerinnen ein ortsunabhängiges Jahresstipendium von uns, eine monatliche Grundversorgung in Höhe von 1.000 Euro, die der Vereinbarkeit zugutekommt. Aktuell schreiben wir im September drei Stipendien für Regisseurinnen und Choreografinnen in den Performing Arts aus.
Wenn das Frauenkulturbüro all seine Ziele erreicht, ist theoretisch keine Frauenförderung mehr nötig. Arbeiten Sie also daran, Einrichtungen wie Ihre obsolet zu machen?
Bis die Geschlechtergleichstellung Realität wird, werden noch viele Jahre ins Land gehen. Die Coronakrise hat die Kluft zwischen den Geschlechtern vergrößert. Geht es im aktuellen Tempo weiter, dürfte die Welt erst in 132 Jahren komplett gleichberechtigt sein. Wenn Sie so weit in die Zukunft blicken wollen: Ja. Sehr gerne!
Ursula Theißen ist Geschäftsführerin des Frauenkulturbüros NRW. Katharina Pfannkuch ist freie Journalistin.
Dieser Text ist Teil des Dossiers „Vernetzt – Frauennetzwerke“. Die einzelnen Beiträge des Dossiers werden durch Bilder der Künstlerin Stephanie Jünemann begleitet.