Baharak Omidfard, Susanne Stephani und Susanne Zöchling im Gespräch mit Katharina Pfannkuch
2021 riefen 20 Frauen den Verein „Women in Arts and Media e.V.“, kurz WAM, ins Leben. Hervorgegangen aus dem seit 2017 vom Deutschen Kulturrat durchgeführten und von der Beauftragten für Kultur und Medien geförderten Projekt „Frauen in Kultur und Medien“, setzt sich WAM interdisziplinär für Strukturveränderungen in Kultur und Medien ein. Der Verein fördert Frauen in Führungspositionen und auf dem Weg dorthin; vernetzt Nachwuchs mit Erfahrenen. In nur eineinhalb Jahren ist die Zahl der Mitglieder von 41 auf rund 300 gestiegen. WAM denkt – und lebt – Führungskultur neu: So wechselt etwa der Vorstand alle zwei Jahre. Aktuelle Vorsitzende ist seit Juni Susanne Zöchling, die mit ihrer Vorgängerin Susanne Stephani und dem Vorstandsmitglied Baharak Omidfard Einblick in die Arbeit von WAM gibt.
Auf der Webseite frauen-in-kultur-und-medien.de finden sich rund 60 Frauennetzwerke. Warum braucht es mit WAM noch ein weiteres?
Stephani − Seit Jahrzehnten gibt es viele tolle Netzwerke, die in den einzelnen künstlerischen Sparten Geschlechtergerechtigkeit fördern und mit denen wir in engem Austausch stehen. WAM bündelt branchen- und spartenübergreifend Interessen und Energien, denn wir wollen Strukturen im Kulturbereich verändern und „Good Practices“ teilen. Dafür müssen wir Kompetenzen zusammenführen.
Omidfard − Obwohl es schon so viele gute Netzwerke gibt, ist in den Bereichen Race, Ability und Gender noch nicht alles getan. WAM verfügt über regionale und nationale Foren sowie ein internationales Forum. Dies ist ein Signal, dass wir unsere Themen im internationalen Zusammenhang betrachten wollen.
Eines Ihrer Ziele ist die „Stärkung von Frauen in Führungspositionen und auf ihrem Weg dahin“. Warum setzt WAM dort an?
Stephani − Unsere Gründungsgruppe setzte sich aus Frauen zusammen, die bis zu zehn Jahre im Beruf sind, Führungsrollen innehaben oder diese übernehmen wollen. Wir haben also Personen mit Führungsexpertise und -potenzial. Das ist wichtig für unser Ziel, Strukturen zu verändern.
Zöchling − Gerade Institutionen im Kulturbereich funktionieren oft noch sehr traditionell. WAM schafft einen Raum, in dem Führungskultur neu und modern gedacht wird.
Was versteht WAM unter Führungskultur?
Zöchling − Es geht nicht nur darum, Intendantin zu werden oder eine Kulturstiftung zu führen. Auch Fragen nach Entlohnung, Umgang mit Care-Arbeit, Arbeitsbedingungen und -zeiten sind Teil der Debatte. Sie betreffen alle Menschen, egal auf welchem Berufslevel, welcher Herkunft, Orientierung und Privilegien. Sich für eine moderne Führungskultur einzusetzen, schließt für uns ein, generationenübergreifend und intersektional zu denken.
In Kultur und Medien gibt es viele Soloselbstständige. Sind diese auch als potenzielle WAM Mitglieder angesprochen?
Stephani − Ja, denn sie bilden eine große Gruppe im Kulturbereich. Ebenso arbeiten viele Mitglieder auf der ersten und zweiten Führungsebene in Institutionen im Kulturmanagement und wir freuen uns, dass auch Menschen aus den technischen Berufen dabei sind. Die Bandbreite ist hoch, genau wie die Altersspanne. Wir wollen gemeinsam Führungsprinzipien neu gestalten, von verschiedenen Ebenen aus. Das macht WAM aus.
Richtet sich WAM ausschließlich an weiblich gelesene Personen?
Zöchling − Die Gemeinnützigkeit sieht vor, dass jede und jeder bei WAM Mitglied werden kann. Wir schließen niemanden aus, haben auch männliche Unterstützter, aber aktuell sind die Mitglieder weiblich gelesene Personen. Da Gleichberechtigung alle Menschen betrifft, kann und muss sich ein Netzwerk wie WAM aber auch entwickeln. Dieser Prozess lebt vom kontinuierlichen Diskurs.
Omidfard − Aus meiner Sicht fungiert „Women“ hier eher als eine Art Code, um diejenigen anzusprechen, die Interesse haben, neue Strukturen in der Kulturlandschaft zu etablieren. Schließlich geht es bei WAM nicht nur um reine Genderfragen, sondern auch um Diskurse über Diversität, Antidiskriminierung und deren Verankerung in der modernen Führungskultur.
Wie ist die Resonanz bei jüngeren Berufseinsteigerinnen? Zögern manche auch angesichts der Idee eines Frauennetzwerks?
Zöchling − Ich verstehe, wenn jüngere Berufseinsteigerinnen sich fragen, warum sie in ein „Frauennetzwerk“ eintreten sollen. Viele Herausforderungen zeichnen sich ja erst später in der Karriere ab: Gender-Pay-Gap und Gender-Care-Gap sind dafür nur zwei Beispiele. Trotzdem bilden wir bei WAM schon eine große Altersspanne ab. Davon profitieren wir alle.
Wie begegnet WAM der Herausforderung der Intersektionalität? Gibt es dafür eine Beauftragte oder haben diesen Aspekt alle Mitglieder gleichermaßen internalisiert?
Omidfard − Eine einzelne Person als Beauftragte zu haben, würde die Aufgabe sehr punktuell behandeln. Es ist wichtig, dass wir uns als Gruppe dafür verantwortlich fühlen. Intersektionelle Diskriminierung ist kein klar definierter Bereich, wir haben es mit einer breiten Palette von Aspekten zu tun. Umso wichtiger ist es, diese aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten.
Stephani − Wir denken und leben Intersektionalität von Anfang an mit, etwa in unserem Code of Conduct oder Projekten wie „WAM EXCHANGE“. Die Praxis ist eine Herausforderung, die Lernkurve für uns alle hoch. Dazu tauschen wir uns dazu immer wieder aus, denn der Einsatz dafür ist essenziell.
In großen Städten ist die Vernetzungsdichte generell hoch. Finden auch Frauen aus ländlichen Regionen den Weg zu WAM?
Stephani − Absolut. Wir möchten diesen Austausch auch weiter stärken. Dafür ist unser digitales Angebot als Ergänzung der analogen Begegnung eine gute Möglichkeit. WAM wurde remote gegründet, der bundesweite und internationale Austausch digital aufgebaut. Auch in der praktischen Vernetzung ist dies relevant: Wenn eine Person in Sachsen eine Ausstellung in Bayern plant, soll sie sich über unsere Plattform dort vernetzen können.
Auch Mentoring wird bei WAM betont. Warum ist dies aus Ihrer Sicht so wichtig?
Zöchling − Bildung ist unser zweiter Vereinszweck und zu Bildung gehört Mentoring. Im Kulturbereich ist Personalentwicklung wegen begrenzter Budgets oft nicht gut abgedeckt. Diese Lücke wollen wir schließen. Es geht aber nicht darum, dass Frauen spezielle Weiterqualifikation bräuchten, weil sie Frauen sind! Mentoring ist für die Weiterentwicklung wichtig, auch abseits des Kulturbereichs. Es ist ja nicht gesagt, dass man immer in dieser Branche bleibt.
Und welche Arten von Mentoring bietet WAM?
Stephani − 2022 haben wir ein 1:1-Programm für Berufs- und Quereinsteigerinnen gestartet, wir organisieren Peer-to-Peer-Mentoring und im Frühjahr sind die digitalen Programme „WAM People“ und „WAM Sessions“ gestartet. Wir setzen immer auf „Reverse Mentoring“: Wir alle können voneinander lernen. Auch beim Mentoring sind Intersektionalität und der Blick auf Diversität wichtig. Dies darf nicht nur in der Theorie stattfinden, sondern muss auch in die Praxis überführt werden: Die erste Ausschreibung erfolgte bundesweit auf Englisch und auf Deutsch, die Jury war möglichst divers besetzt und ein Mitglied begleitet den gesamten Prozess als „outside eye“.
Im Juni fand die zweite WAM Jahrestagung statt. Welche Aspekte waren besonders weg weisend für die Zukunft?
Stephani − Staatsministerin Claudia Roth hat ein digitales Grußwort gesprochen und der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda war vor Ort. So ein Rückenwind ist wichtig für WAM und die Umsetzung unserer Ziele.
Zöchling − Es waren etwa 100 Mitglieder dabei und wir haben die Standards, die wir fordern, selbst angewendet: Es gab z. B. eine Betreuung für die Kinder teilnehmender Mitglieder und eine externe Awareness-Begleitung. Unsere wichtigsten Vorhaben sind der Umgang mit unserem schnellen Wachstum, die Einrichtung einer Geschäftsstelle, Fördermittel-Akquise und natürlich unsere politische Arbeit.
Omidfard − Ich halte die Idee der Rotation, dass der Vorstand alle zwei Jahre neu besetzt werden soll, gerade mit Blick auf eine feministische Führungskultur für wegweisend. Das schafft eine neue dynamische Struktur und damit die Möglichkeit, eine moderne Führungskultur zu leben.
Baharak Omidfard ist Vorstandsmitglied von WAM. Susanne Stephani ist Gründungsmitglied und ehemalige Vorsitzende von WAM. Susanne Zöchling ist Vorsitzende von WAM. Katharina Pfannkuch ist freie Journalistin.
Dieser Text ist Teil des Dossiers „Vernetzt – Frauennetzwerke“. Die einzelnen Beiträge des Dossiers werden durch Bilder der Künstlerin Stephanie Jünemann begleitet.