Der Kultursektor kann als männlich dominiert beschrieben werden und stand in den letzten Jahren immer wieder aufgrund von Machtmissbrauch in der Kritik. Viele weibliche Kunstschaffende sehen sich immer noch von der Gunst männlicher Kritiker abhängig. Eine Umfrage des Bündnisses „Vielfalt im Film“ untersuchte 2021 Diskriminierungs- und Diversitätserfahrungen in der deutschen Filmbranche. Von den 817 befragten Personen gaben 60 Prozent an, bereits Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts erfahren zu haben. Als wirksame Maßnahme zur Stärkung der Vielfalt und gegen die erlebte Diskriminierung gaben 91 Prozent der Befragten Vernetzung und Bündnisbildung an. Frauen wurden jedoch in der Vergangenheit systematisch aus vielen Netzwerken und Bündnisbildungen ausgeschlossen und ihnen so der Zugang zu wertvollen Informationen innerhalb dieser Netzwerke verwehrt. Obwohl in einigen Sparten der Kunst- und Kulturbranche, beispielsweise bei Autorinnen, der Frauenanteil insgesamt höher ist als der Männeranteil, werden immer noch die Werke männlicher Autoren ausführlicher besprochen und überwiegen auf den Büchertischen. Der Unterschied in der Karriereentwicklung von Frauen und Männern wird durch viele Faktoren beeinflusst. Netzwerke spielen dabei eine Rolle. In den letzten fünf Jahren gab es einen regelrechten Boom an Gründungen von Frauennetzwerken im Kultur- und Medienbereich. Diese von Frauen für Frauen gegründeten Netzwerke bieten einen „Safer Space“, der Cis-Männern – die Vorsilbe cis bedeutet die Identifikation mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht – keinen Zugang gewährt. Mithilfe dieser Netzwerke erhofften sich die Mitglieder eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für Frauen in Kunst und Kultur, gegenseitige Unterstützung und einen verstärkten Austausch untereinander. Zudem sollte die Sichtbarkeit von weiblichen Künstlerinnen erhöht werden. In der Forschung zu Netzwerken lag der Fokus bislang auf männlichen oder geschlechtergemischten Netzwerken. Was in diesen Frauennetzwerken passiert, was die Netzwerke erreichen können und wie die einzelnen Frauen von den Netzwerkbindungen profitieren, ist bislang weitgehend unbekannt.
Um einen tieferen Einblick in die Strukturen der Frauennetzwerke und deren Effekte für die Mitglieder zu gewinnen, führten wir in der Arbeits-, Organisations-, und Sozialpsychologie der Technischen Universität Braunschweig in Kooperation mit dem Deutschen Kulturrat eine deutschlandweite Studie durch. In der Studie wurden die Netzwerke von 140 FLINTA-Personen – das Akronym FLINTA steht für: Frauen, Lesben, intergeschlechtlich, transidente und agender Personen – aus 32 verschiedenen Frauennetzwerken aus der deutschen Kulturbranche untersucht. Das Alter der befragten Personen lag zwischen 24 und 79 Jahren. Der größte Anteil der Befragten arbeitet in der Literatur, gefolgt von den bildenden Künsten und weiteren Kultursektoren, wie z. B. Film und Medien. Da viele Frauennetzwerke, ebenso wie der Rest der Gesellschaft, von den pandemiebedingten Veränderungen in der Zusammenarbeit betroffen waren, wurden die Rahmenbedingungen, unter welchen die Treffen stattfinden, näher erfragt. Über die Hälfte der Teilnehmerinnen gaben an, dass ihre Netzwerktreffen teils digital und teils in Präsenz stattfinden. Lediglich 20 Prozent der Teilnehmerinnen berichteten, dass ihre Netzwerktreffen nur in Präsenz stattfinden. Die meisten Teilnehmerinnen wünschten sich, dass ihre Treffen weiterhin teils digital und teils in Präsenz stattfinden.
Je nach Netzwerk werden verschiedene Schwerpunkte gesetzt, besonders da sich in den jeweiligen Netzwerken Künstlerinnen aus ähnlichen Bereichen zusammenfinden. Dennoch konnte beobachtet werden, dass bestimmte Ziele und Themen eine wichtige Rolle in allen Netzwerken spielen: Die Netzwerke verfolgen maßgeblich das Ziel, berufsrelevante Informationen untereinander auszutauschen und Feedback zur Arbeit zu erlangen. Ebenfalls werden politische Ziele wie faire Arbeitsbedingungen für Mütter in der Kulturbranche verfolgt. Das gegenseitige Empowern durch die Bündnisbildung wird von vielen Teilnehmerinnen als gemeinsames Ziel genannt. Ein Drittel der Teilnehmerinnen gab an, dass die Zielerreichung ihres Netzwerkes nicht überprüft werde, da oft auch nicht klar sei, ob es ein gemeinsames Zielverständnis gibt. Um die Wirksamkeit der Netzwerke zu verstärken, bietet es sich an, in regelmäßigen Abständen gemeinsame Ziele zu erarbeiten und diese zu überprüfen.
Trotz der verschiedenen Schwerpunkte sind auch die besprochenen Themen netzwerkübergreifend ähnlich. Am meisten dienen die Netzwerke dem Austausch, z. B. zu Honoraren oder Aufträgen, und der solidarischen Zusammenarbeit unter Kolleginnen, die gerade für freiberufliche Künstlerinnen von hoher Bedeutung ist. Ebenso scheint es ein wichtiges Thema zu sein, die eigene Sichtbarkeit zu erhöhen sowie sich gegenseitig zu bestärken. Die Teilnehmerinnen bewerten die Unterstützung durch ihr Netzwerk für ihr berufliches Vorankommen mit einer Schulnote von 2,8 (die als gut bis befriedigend gilt). Die wahrgenommene private Unterstützung liegt mit einer Schulnote von 2,9 auf dem gleichen Level, das heißt es besteht durchaus Potenzial die Netzwerke noch besser zu nutzen.
Im Vergleich mit Ergebnissen anderer Studien gaben die Teilnehmerinnen eine hohe Anzahl an karriereunterstützenden Personen aus ihren Netzwerken an. In bisherigen Studien wurden im Mittel vier Personen als unterstützend angegeben. Die Mitglieder berichteten im Mittel, dass sie durch 7,47 Personen aus ihren Frauennetzwerken Unterstützung erhalten. Die Spannbreite der Anzahl der Unterstützenden variiert stark und liegt bei 1 bis 18. Es konnte beobachtet werden, dass Mitglieder aus länger bestehenden Netzwerken durch eine höhere Anzahl an Personen Unterstützung erhielten. Im Durchschnitt nahmen die Teilnehmerinnen am meisten informationale Unterstützung durch die verschiedenen Personen in ihren Netzwerken wahr. Diese Form der Unterstützung beinhaltet den Austausch von berufsrelevanten Informationen und die Rückmeldung zu der eigenen Arbeit.
Die befragten Personen gaben an, dass der Umgang in den Frauennetzwerken vertrauensvoller und kooperativer sei als in männerdominierten Netzwerken. Häufig gäbe es in den männerdominierten Netzwerken den Druck »sich zu beweisen« und die Konkurrenz zwischen den Netzwerkmitgliedern sei größer als in den Frauennetzwerken. Die emotionale Unterstützung bei Diskriminierungserfahrungen und die Empathie innerhalb der Frauennetzwerke wurden häufig als Unterscheidungsmerkmale genannt. In den Frauennetzwerken fühlten sich die Frauen wohler und sicherer über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu sprechen, da das Thema in männerdominierten Netzwerken häufig tabuisiert sei.
Besonders im Zuge von Digitalisierung und dem Netzwerken online in sozialen Medien ist eine Weiterentwicklung der Frauennetzwerke zu beobachten. Die Teilnehmerinnen wünschen sich von ihren Netzwerken, dass junge Künstlerinnen stärker gefördert und für die Teilnahme in den Netzwerken aktiviert werden. Viele Teilnehmerinnen äußern den Wunsch, dass sich die Netzwerke diverser aufstellen sollten. Durch einen festen institutionalisierten Rahmen der Frauennetzwerke könnte die finanzielle Sicherheit und die Zusammenarbeit verbessert werden. Aufgrund des fehlenden institutionalisierten Rahmens arbeiten, laut 82 Prozent der befragten Mitglieder, die Netzwerke rein ehrenamtlich, was gerade für Frauen mit Betreuungs- und Pflegeaufgaben, die in die Organisation der Netzwerke involviert sind, eine Hürde darstellen kann.
Die bisherigen Ergebnisse der Studie bieten einen ersten Einblick in die Struktur und den Nutzen der Frauennetzwerke in Kultur und Medien werfen jedoch auch weitere Fragen auf. Durch weiterführende Forschung möchten wir herausfinden, unter welchen Umständen die empfundene Unterstützung und der Nutzen der Frauennetzwerke für die Mitglieder weiter gesteigert werden könnte und sie somit sichtbarer werden können. Daher ist es von großem Interesse die Forschung voranzutreiben. Zukünftig soll der Fokus nicht ausschließlich auf den Unterstützungsnetzwerken aus Frauennetzwerken und deren Struktur liegen, sondern es soll auch die Position von Frauen in gemischten Netzwerken näher betrachtet werden.
Simone Kauffeld ist Leiterin der Arbeits, Organisations, und Sozialpsychologie am Institut für Psychologie an der Technischen Universität Braunschweig. Freya Grimme und Britta Wittner sind ebendort wissenschaftliche Mitarbeiterinnen.
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Dieser Text ist Teil des Dossiers „Vernetzt – Frauennetzwerke“. Die einzelnen Beiträge des Dossiers werden durch Bilder der Künstlerin Stephanie Jünemann begleitet.