Porträt der Grisebach-Chefin Diandra Donecker
Andreas Kolb
Sammeln ist dem Menschen in die Wiege gelegt. Für frühe Jäger-und-Sammler-Gesellschaften ging es um die Existenz. In sublimierter Form ist dieser Urtrieb bis heute in den Menschen wach: Spezies wie Sammlerinnen und Sammler von Schallplatten, Briefmarken, Designerklamotten oder Käfern und Insekten kennt jeder. Warum aber Kunst sammeln? Ist das nicht nur eine exquisite Form, Geld sicherer anzulegen als auf der Bank? Mit diesen Fragen setzt sich jeder einmal auseinander, der in einem Auktionshaus Sammler betreut: Die Käuferinnen und Käufer sind Sammler, die Verkäuferinnen und Verkäufer sind Sammler, so wie die Auktionatorinnen und Auktionatoren auch oft genug selbst Sammler sind. Die Sammlerin, um die es hier geht, heißt Diandra Donecker. Seit 2019 ist Donecker Geschäftsführerin und Partnerin des Berliner Auktionshauses Grisebach und bildet seit Ende letzten Jahres gemeinsam mit Daniel von Schacky das Führungsduo. Donecker sagt: „Sammeln ist ein dem Menschen ganz eigener Sinn und Trieb. Im Sammeln formuliert man immer auch eine Idee von sich selbst.“
Das Auktionshaus Grisebach in Berlin gilt als umsatzstärkstes Auktionshaus für Klassische Moderne in Deutschland und ist Marktführer für die deutsche Kunst des 20. Jahrhunderts. Auch bei Grisebach speist sich der Bestand eines Aktionshauses aus drei Quellen. Das sind: Tod, Schulden und Scheidung. Griffiger lässt sich das auf Englisch sagen, Death, Debts, Divorce, kurz: die drei D. Wer Kunst zur Auktion einliefert, will meist Liquidität schaffen. Oder man weiß als Auktionshaus über gewachsene Beziehungen von im Verborgenen schlummernden Werken und spricht Besitzer im richtigen Augenblick darauf an. „Wir auf dem Sekundärmarkt bilden die Nachfragelage ab und sind keine Marktmacher, anders als etwa die Galerien im sogenannten Primärmarkt“, sagt Donecker.
Als Sammlerin, aber auch als Kunstliebhaberin und Kunstexpertin hat Diandra Donecker den Fokus stets auf Arbeiten auf Papier gelegt. Hier faszinierte sie die Vorstellung, dass „dieser Strich, diese Linie direkt aus der Hand fließt. Das ist so pur, wie es sich auf dem Blatt zeigt.“ Eine Faszination, die dann durch ausgewählte Fotografien ergänzt wurde: „Ich habe wahnsinnige Freude an Porträts, an Bildern von Menschen. Das zieht mich magisch an, und ich frage mich: ‚Wer ist das? Was hat die Person gedacht? Was ist das für ein Zeitmoment?‘ So ist unter anderem mein privates Sammeln begründet. Es geht zunächst gar nicht um Wertsteigerung oder Werterhalt.“
Das Foto der jüngsten Führungskraft des deutschen Kunstmarkts war 2022 häufig in den Medien präsent. Wer ist diese Diandra Donecker? Wo kommt sie her, was ist ihr Movens? Recherchiert man zu Diandra Donecker, gibt die Google-Suche zur persönlichen Vita der Kunsthändlerin aber nur einen einzigen Satz her: „Diandra Donecker wurde 1988 in Frankfurt am Main als Tochter einer Kunsthistorikerin und eines Fotografen geboren.“
Also nachgehakt: Aufgewachsen ist sie in einer Familie, in der Bücher, Kunstmagazine, Fotos und Kunstwerke immer eine Rolle gespielt haben. „Meine Eltern sind keine Kunstsammler im eigentlichen Sinn, aber es gibt eine ganz große Liebe zum Bewahren von wertvollen Dingen und auch zum Ansammeln von Dingen. Ich bin sehr früh vertraut gewesen mit dem Wert von Objekten, die wir um uns hatten, die mit uns umgezogen sind und die wir immer als ganz wertvoll für uns schätzten.“
Doneckers Idee von Kultur ist auch geprägt durch die Reisen mit den Eltern in die Kunstmetropolen und den ausgiebigen Besuchen von Museen. Von Kunst umgeben zu sein ist selbstverständlich und macht schon dem Teenager Freude, sodass es ganz natürlich scheint, dass Diandra das gleiche Fach studiert wie ihre Mutter, nämlich Kunstgeschichte. Dass sie in ihrem nicht viel späteren Leben, nämlich bereits mit 29, Leiterin der Sektion Fotografie bei Grisebach in Nachfolge von Franziska Schmidt werden wird, ist sicher auch dem Einfluss ihres Vaters zuzuschreiben.
Blickt man auf ihre beruflichen Stationen, wie ihr Studium der Kunstgeschichte in München, das sie mit einer Magisterarbeit über niederländische Druckgrafik abschließt, die Zeit in der Print-and-Drawings-Abteilung im Metropolitan Museum Modern Art, ihre Hospitanzen und Volontariate z.B. bei Christie’s in London und der Einstieg 2017 als Fotografieexpertin beim Kunsthaus Grisebach, dort seit 2019 als Gesellschafterin in der Geschäftsleitung, dann drängt sich der Eindruck auf: Hier hat jemand sehr zielstrebig Karriere gemacht.
„Eigentlich tendiere ich dazu zu sagen, es ist irgendwie so passiert. Aber je mehr ich in letzter Zeit dazu gezwungen bin, über meine Arbeit zu sprechen und – wie etwa in unserem Interview für die Politik und Kultur – von außen auf mein Leben zu sehen, würde ich sagen, ich bin auf jeden Fall sehr zielstrebig gewesen – in dem Sinne, dass ich eine bestimmte Idee verfolgt habe.“
Diandra Donecker entscheidet sich noch vor dem Abitur, dass sie gern etwas machen möchte mit „Geschichte und entsprechendem Quellenstudium“. Dass diese „Quelle“ das Bild wird, kristallisiert sich früh heraus. Ihre Interessen führen sie ruhelos in Praktika und Volontariate, sie will ins Ausland, möchte gern in einer Position sein, in der sie Dinge selbstständig und eigenverantwortlich auf die Beine stellen kann, und vor allem ist ihr wichtig, nicht ausschließlich in wissenschaftlichen, universitären und musealen Zusammenhängen zu stecken. Früh lotet sie auch die Dimension von Kaufen und Verkaufen aus.
Es gibt Karrieren, da muss man initiativ werden, und welche, da wird man angerufen. Donecker kennt beide Seiten: „Können Sie sich vorstellen, die Abteilung zu leiten? Können Sie sich vorstellen, die Rede zu halten?“ Mit einer Mischung aus Courage und Unternehmergeist, antwortet sie stets: „Ja, kann ich mir vorstellen.“ Von Christie’s aus bewirbt sie sich initiativ bei Grisebach, weil „es das Haus war in Deutschland, das ich am spannendsten fand. Mit dem damaligen Geschäftsführer Florian Illies war es ein Haus, was ganz stark in der Literatur und auch im 19. Jahrhundert verwurzelt war. Ich wiederum kam aus der Welt der Alten Meister, der Welt des 16. bis 19. Jahrhunderts. Ich dachte ‚Was ist das für ein toller Ort, wo ein Journalist und Autor der Geschäftsführer ist!'“ Im nächsten Schritt lernt sie Firmengründer und -inhaber Bernd Schultz kennen, für sie eine magische Person „mit so viel Wissen, so viel Ideenreichtum, immer mutig, immer auf Zack! Wow!“.
Nach 36-jährigem Bestehen des Auktionshauses Grisebach vollzog der 1941 geborene Firmengründer Bernd Schultz 2021 einen Generationenwechsel. Mit einem Anteil von 89,7 Prozent Hauptgesellschafter des Unternehmens mit über 50 Mitarbeitern, trennte sich Schultz von 79 Prozent und präsentierte seinen Stiefsohn Daniel von Schacky als seinen Nachfolger. Co-Chefin wurde Diandra Donecker. Mit diesem quasi familiären Übergang in eine neue, junge Doppelspitze scheint die Kontinuität im Auktionshaus Grisebach gesichert. Ob real im Auktionssaal oder digital bei den von Donecker initiierten „Timed Auctions“, genannt Online Only: Wer das Knistern der Versteigerungen liebt, wen das Jagdfieber des Kunstsammlers erfasst hat, für den wird es in der Berliner Fasanenstraße auch in der nächsten Ägide heißen: „Zum Ersten, zum Zweiten und zum Dritten, der Zuschlag geht an …“
Andreas Kolb ist Redakteur von Politik & Kultur.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10|23.