Eine bundesweite Anlaufstelle für Frauennetzwerke zu bieten, ist eine von mehreren Aufgaben des Projektbüros „Frauen in Kultur & Medien“, das seit 2017 beim Deutschen Kulturrat angesiedelt ist und von der Beauftragten des Bundesregierung für Kultur und Medien finanziert wird. Um diese Anlaufstelle mit Leben zu füllen, war es notwendig, aktiv Kontakt zu Gruppierungen aufzunehmen, die sich als Interessenvertretungen, lose Netzwerke oder als Vereine zum Thema Geschlechtergerechtigkeit in Kultur und Medien organisieren.
Mit einigen Ausnahmen wie den Bücherfrauen (gegründet 1990), der GEDOK (gegründet 1926) oder Women in Film and Television (gegründet 2005), waren viele Zusammenschlüsse von Frauen beflügelt durch die MeToo-Bewegung ins Leben gerufen worden, also ab den 2010er Jahren, so z. B. die ProQuote-Gründungen in den Bereichen Medien, Film und Theater. Die zentralen Anliegen dieser Netzwerke sind seitdem, die Sichtbarkeit von Frauen zu erhöhen, männlich dominierte Hierarchiestrukturen kritisch in den Fokus zu nehmen und mit Zählungen zu untermauern, um auf die verbreitete Chancenungleichheit hinzuweisen.
Die Studie des Deutschen Kulturrates zu Frauen in Führungspositionen von 2016 trug zudem dazu bei, dass der Gender-Pay-Gap und der Gender-Show-Gap verstärkt thematisiert wurden. In den folgenden Jahren gab es bundesweit viele Symposien, Tagungen und weitere Studien, unter anderem von der MaLisa Stiftung, der Filmförderungsanstalt (FFA) oder der Universität Rostock, die alle dazu beitrugen, dass die mangelhafte Geschlechtergerechtigkeit speziell in Kultur und Medien politische Aufmerksamkeit erlangte und mit Zahlenmaterial unterlegt wurde.
Die Recherche und Kontaktaufnahme des Projektbüros zu den verschiedenen Netzwerken und Vereinen, die sich bundesweit gründeten, machte mehr und mehr deutlich, dass sich fast alle Interessenvereinigungen auf eine Kultursparte beschränkten bzw. hier noch Untergruppen bildeten, so wie Digital Media Women, Mörderische Schwestern, Women in Games, SPARKX oder And She Was Like: BÄM!. Oftmals war diesen Netzwerken nicht bewusst, dass sich parallel zu ihnen in der Sparte weitere Gruppierungen organisiert hatten. Aber vor allem gab es zwischen den einzelnen Kultursparten und den in ihnen entstandenen Netzwerken kaum Austausch und Wissen voneinander.
Aufgrund der durchweg prekären Finanzstrukturen dieser Netzwerke konnte der mangelnde Austausch untereinander nicht wirklich überraschen, denn alle Gruppen bekamen bzw. bekommen – wenn überhaupt – nur minimale Finanzierungen von öffentlicher Seite. Der Gender-Pay-Gap trägt zudem dazu bei, dass die Initiatorinnen keine finanziellen Mittel in die Strukturen ihrer Netzwerke stecken können. Viele Frauen stellen den Netzwerken ihre Zeit in Form von ehrenamtlichem Engagement zur Verfügung, aber auch dies wird durch den Gender-Pay-Gap erschwert, weil weibliche Kulturschaffende häufig auf Nebenjobs finanziell angewiesen sind. Und selbst wenn die Netzwerke als Vereine organisiert sind, ändert dies wenig an ihrer Finanzstruktur, weil die Mitglieder keine hohen Beträge erübrigen können.
Erfahrungsaustausch und Synergien
Um das Wissen umeinander, Erfahrungsaustausch und Synergien zu ermöglichen, organisierte das Projektbüro mehrere Treffen mit den Netzwerkvertreterinnen. Wurden zum ersten Austausch im Jahr 2018 rund 20 Netzwerke eingeladen, wuchs die Liste bis 2020 bereits auf über 40 bundesweit agierende Netzwerke an. Heute sind in der Datenbank des Deutschen Kulturrates, die unter frauen-in-kultur-und-medien.de zu finden ist, über 60 Netzwerke mit Kurzportrait und Kontakt gelistet.
Die Teilnehmerinnen stellten bei den erwähnten Treffen die Ziele und Arbeitsweisen ihrer Netzwerke vor und tauschten sich – mal analog, mal online – über ihre Herausforderungen aus und diskutierten zu Themen wie Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Gender-Show-Gap und Gender-Pay-Gap und loteten zudem Kooperationsmöglichkeiten aus. Bei diesen Treffen wurde deutlich, dass die Netzwerke unabhängig von der Sparte ähnliche Themen verfolgen, wie Parität in Führungspositionen und Gremien, Sensibilisierung für Geschlechtergerechtigkeit, Forderung nach Gender-Budgeting sowie familienfreundliche Arbeitsbedingungen, und vor vergleichbaren Herausforderungen stehen – eine Erfahrung, die bestärkend und verbindend wirkte.
Neben der oben erwähnten Finanzknappheit, die die Netzwerkarbeit insgesamt einschränkt, sind es insbesondere Fragen bezogen auf die Ausrichtung und Organisation, die die Netzwerke umtreiben: Stellt man sich regional oder bundesweit auf? Steht Geschlechtergerechtigkeit im Mittelpunkt oder Diversität? Sollten möglichst viele Generationen integriert und vielleicht sogar Männern Zutritt gewährt werden? Organisiert man sich auch analog oder setzt man ganz auf online? Schafft man es im Netzwerk, viele Interessierte in die aktive Arbeit einzubeziehen oder hängt doch das meiste wieder an einer kleinen Gruppe? Ist ein lockeres Netzwerk oder die Vereinsform die sinnvollere Variante? Gibt es genug Nachwuchs und können insgesamt verschiedene Generationen angesprochen werden? Und wie viele Mitglieder strebt man überhaupt an, ohne Gefahr zu laufen, plötzlich zu anonym zu werden? Denn schließlich suchen die Frauen insbesondere auch emotionale Unterstützung – Fragen über Fragen also zu zentralen Themen der Organisation und Ausrichtung.
Wie zuvor erwähnt, wuchs ab 2017 die Zahl der Frauennetzwerke und ab 2020 ihr immer stärkerer Fokus auf Diversität, sodass mehr Netzwerke ein geschützter Raum für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, transidente und agender Personen sein wollten. Hinzu kam und kommt vielfach der Wunsch, nach einer intersektionalen Ausrichtung, um Rassismus, Klassismus und andere Formen der Diskriminierung endlich bewusst und nachhaltig anzugehen.
Mit dieser wachsenden Themenvielfalt halten die Organisationskapazitäten und die strategische Bestimmung, für welche Ziele welche Organisations- und Ausrichtungsform die geeignetste ist, verständlicherweise selten Schritt. Die organisatorischen wie inhaltlichen und moralischen Ansprüche – gerade auch weil frau es besser machen möchte als die klassischen Cis-Männernetzwerke – sind enorm hoch, sodass nicht selten die Zufriedenheit der Mitglieder nicht so ausgeprägt ist, wie es eigentlich wünschenswert wäre, so ein Ergebnis der FLINTA-Netzwerkstudie der Technischen Universität Braunschweig am Lehrstuhl für Arbeits-, Organisations- und Sozialpsychologie von Simone Kauffeld. Diese Beobachtung hängt unter anderem auch damit zusammen, dass die Ziele für alle Mitglieder nicht immer eindeutig sind.
Arbeitsweise und Wirksamkeit
Erstaunlicherweise gehört diese Studie zu den ersten überhaupt, die die Arbeitsweise und Wirksamkeit von FLINTA-Netzwerken wissenschaftlich untersucht. So erforscht die Studie, wie sich die Netzwerkteilhabe auf das soziale Kapital der Mitglieder auswirkt bzw. deren subjektiven und objektiven Karrieremaße positiv beeinflusst. Ebenfalls sollte die Studie Aufschluss darüber geben, ob die Hypothesen, die für geschlechterheterogene und offene oder teilweise informelle Netzwerke gelten, auch auf die FLINTA-Netzwerke aus Kultur und Medien anwendbar sind. Die Auswertungen lassen vermuten, dass die klassischen Hypothesen nicht 1:1 übertragbar sind. Deshalb wäre es wichtig, dass hierzu weitere Studien entstehen, an denen sich möglichst viele Netzwerke beteiligen. Denn nur wenn es in diesem neuen Forschungsbereich weitreichendere Erkenntnisse gibt, kann mehr subjektive wie objektive Wirksamkeit erzielt und Frustration der Beteiligten vermieden werden. Beides benötigen wir dringend.
Angesichts des geringen Fortschritts bei den Themen Geschlechtergerechtigkeit, Gender-Pay-Gap, Gender-Show-Gap und Gender-Care-Gap wäre es deprimierend, wenn der Boom an Netzwerkgründungen und politischen Initiativen, der zu diesen Themen auf eine mehr als 150-jährige Geschichte zurückblickt, nicht bald auch zu spürbaren gesellschaftlichen Veränderungen führt. Die parallelen, internationalen Herausforderungen für unsere Gesellschaften wie Krieg, Inflation oder Klimawandel und die damit einhergehende, wachsende politische Polarisierung lassen jedoch befürchten, dass die von der MeToo-Bewegung ausgelöste Dynamik im Kampf für mehr Geschlechtergerechtigkeit und Diversität an Drive verliert, die Themen gegeneinander ausgespielt werden und sich unser Zeitfenster für gesellschaftlichen Wandel und das Einlösen feministischer Werte wieder schließt.
Cornelie Kunkat ist Referentin für Frauen in Kultur und Medien beim Deutschen Kulturrat und hat das gleichnamige MentoringProgramm konzipiert und umgesetzt.
Dieser Text ist Teil des Dossiers „Vernetzt – Frauennetzwerke“. Die einzelnen Beiträge des Dossiers werden durch Bilder der Künstlerin Stephanie Jünemann begleitet.